Liebe Lotte,
Selbst habe ich mit derartigen vor- und postoperativen Problemen keine Erfahrung, aber durch meine sehr lange dauernde Zeit mit mehrfachen WHO-III-Menigeom-Therapien habe ich mir einiges an Wissen über Hirntumoren angeeignet.
Die Kopfschmerzen, den Schwindel, die Übelkeit und das Erbrechen hatte Deine Tochter erst nicht, dann wurden diese Symptome mehr bzw. stärker und dann wurde der Tumor entdeckt.
Es ist also recht sicher, dass der Tumor diese Symptome ausgelöst hat.
Nun wurde der Tumor vollständig entfernt.
Er stellte sich als ein WHO-I-Astrozytom heraus, was für ein recht langsames Wachstum spricht. Er ist also vermutlich nicht erst seit dem Bemerken der Symptome im April 2021, sondern bereits länger im Kopf Deiner Tochter. Er wuchs langsam, bis er eine bestimmte Größe erreicht hatte. Nun erst erzeugte er diese Symptome.
Die Neurochirurgen haben den Tumor entfernt. Aber sie mussten dafür genau an die Stelle im Gehirn, wo der Tumor diese Symptome erzeugt hat. Sie haben die Tumorzellen von ihrer Umgebung trennen müssen, denn ein pilozytisches Astrozytom wächst - soweit ich weiß wie alle Astrozytome - auch infiltrierend. Also mussten die Ärzte genau an den Stellen an den gesunden Hirnzellen "herumzupfen", wo diese Symptome ihre Ursache hatten.
Nach der erfolgreichen OP ist zwar der Tumor weg, aber die Heilung im Kopf braucht noch sehr lange, bestimmt länger als die etwa sieben Wochen, die seit der OP vergangen sind. Die Blutgefäße müssen sich neu sortieren und vor allem muss sich das gesunde Hirngewebe neu organisieren. Es finden Vernarbungen direkt an den Stellen statt, wo operiert wurde. Dort, wo jetzt kein Tumor mehr ist, gibt es Veränderungen.
Außerdem haben die "Hantierungen" der Neurochirurgen mit Skalpell und sonst was für Geräten das Gehirn "geärgert". Es reagiert darauf mit Kopfschmerzen, und evtl. auch mit Schwindel, Übelkeit und Erbrechen.
Vor allem aber wehrt es sich direkt an dieser Stelle, weil es diese Handlungen der Ärzte "als feindlichen Eingriff in das Gehirn Deiner Tochter ansieht". Es werden Abwehrkräfte zum Schutz des Gehirns angeregt. Es werden die Blutzellen (weiße Blutkörperchen) massiv dorthin geschickt, um diese "gefährliche Stelle" vom gesunden Gehirn abzuschotten. Woher soll das Gehirn wissen, dass der Eingriff ein helfender war? Die Stelle, wo der Eingriff geschah, wird mit einer (vermutlich geringen) Wasseransammlung (Ödem) umgeben. (Wäre sie größer, wäre sie im MRT sichtbar gewesen.) Bis das Gehirn "verstanden hat", das es nichts Böses ist und bis es sich neu organisiert hat, können Monate vergehen.
Und all das passiert eben genau an den Stellen, die die Symptome vor der OP ausgelöst haben. Da ist es kein Wunder, dass genau diese Symptome weiterhin bestehen bleiben.
Es ist gut, dass die MRT-Kontrollen und die anderen Untersuchungen stattfanden und alle keinen Anlass zu der Sorge gegeben haben, der Tumor sei gewachsen oder als Rezidiv wiedergekehrt. Das ist sehr gut.
Das postoperativ entstandene nicht sehr hohe Fieber könnte seine Ursache darin haben, dass das Immunsystem Deiner Tochter noch sehr gegen diesen Eingriff kämpft. Ein Ödem ist eine Entzündung, wogegen der Körper kämpft. Und bei jungen Menschen ist das Immunsystem sehr aktiv!
Wenn die Ärzte auch diese Temperaturen unter 39°C nicht besorgniserregend fanden, dann ist auch das noch eine normale postoperative Reaktion.
Es gibt keine andere Entzündung im Körper. Darauf achten die Neurochirurgen wirklich akribisch, weil das die Gefahr ist, die sie unbedingt vermeiden müssen. Es darf sich nach einem Eingriff in das Gehirn keine Entzündung des Gehirns (Enzephalitis) und auch keine Entzündung der Hirnhäute (Meningitis) entwickeln. Wenn dafür auch nur ein Verdacht bestünde, würde Deine Tochter umgehend mit Antibiotika behandelt werden, vermutlich sogar stationär per Tropf.
So wie Du die Situation Deiner Tochter und das sinnvolle Handeln der Ärzte beschrieben hast, würde ich es als noch normale, wenn auch sehr belastende, postoperative Folgen beschreiben. Ihr solltet davon ausgehen können, dass es sich sehr langsam bessern wird.
Du hast nicht geschrieben, wie aktiv Deine Tochter bereits wieder ist, wenn es ihr gerade gut geht. Sie muss sich dessen bewusst sein, dass es sich - wie Du es schreibst - um einen schweren Eingriff handelte, nach dem es Monate dauern kann, bis eine normale Belastung wieder möglich ist. Sie ist krank und zwar schwer krank! Auch wenn sie es vielleicht nicht so sieht und jede gute Minute verständlicherweise für alle möglichen oder auch nur wenigen Aktivitäten nutzen möchte. Sie muss sich weiter schonen - das ist leicht gesagt!
Was sie aber tun muss, ist, auf sich selbst zu hören, rechtzeitig aufzuhören, bevor Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen entstehen. Bei oder besser vor den ersten Anzeichen muss sie sich Ruhe gönnen. Sie kann sich eine Zeit überlegen, wie lange sie aktiv sein kann. Das wären vielleicht 30 min und dann ist Ruhe angesagt. Dann wieder 30 min und Ruhe. Später 35 min und Ruhe. Noch später 40 min. Das kann sie steigern, um diesen schlimmen Symptomen zuvorzukommen.
Medikamentös ist sie versorgt und es sind sicher Medikamente, die nicht zu einer Abhängigkeit führen. Aber auch hier ist eine vorsichtige Verringerung der jeweiligen Dosis anzustreben. Je nach Symptomstärke könnte es weniger werden. Es sollte von der Hausärztin begleitet werden.
Ich wünsche Deiner Tochter und Dir, der sorgenden Mutti, alles Gute und hoffe sehr, dass es ihr nach und nach besser gehen wird.
KaSy