Liebe Sanne,
vielen Dank für deine schnelle Antwort - ich werde jetzt wohl die Funktion für die Antwortsmeldung nutzen, habe gar nicht mitbekommen, dass du bereits geschrieben hast.
Mein Neurinom war laut CT 4,8 x 2,5 cm groß und ich kann es gerade gar nicht fassen, dass ich in meinen Dokumenten nirgends die genauen Maße nach dem MRT finden kann..
Jedenfalls sagte man mir vor der OP, dass man nie genau weiß, wie die Struktur des Tumors ausfällt, erst, wenn die OP am Laufen ist. Mein Neurochirurg Dr. Synowitz drückte sich folgendermaßen aus:
"Entweder man kann die Tumore absaugen wie mit einem Mini-Staubsauger oder die Dinger sind hart wie Stein und dann muss man sie buchstäblich abkratzen."
Leider war bei mir letzeres der Fall, daher war bei mir die Maximalstundenanzahl von acht Stunden angesetzt und dies reichte, um 70% des Tumors zu entfernen.
Ich muss an der Stelle noch einmal betonen, dass bei mir alles recht schnell ging. Ich habe bis zum April 2013 keine Symptome gespürt und dann ging alles sehr schnell. Ich hatte Kopfschmerzen und musste mich zum Teil übergeben, wurde daraufhin kurzzeitig mit Migränemitteln behandelt, als die jedoch beim dritten Mal Kopfschmerzanfall nichts halfen, folgte ich meiner Intuition und wollte nicht erst auf einen Termin beim Neurologen in drei Monaten warten, sondern bin direkt zur Rettungsstelle gefahren und habe dort ein CT machen lassen, woraufhin dann auch ein MRT angefertigt wurde und die Diagnose "Raumforderung im Kleinhirnbrückenwinkel, Trigeminus links" fest. Da das Krankenhaus Neukölln nicht mein Wahlkrankenhaus war und ich zudem ein ein Jahr altes MRT besaß, worauf man erkennen konnte, dass der Tumor auch schon fast genauso groß war und also relativ sicher war, dass der Tumor gutartig ist, entließ man mich vorerst und bat mir einen OP-Termin zwei Wochen später an. Ich bin dann lieber zu Herrn Synowitz in der Charité (Virchowklinikum) gewechselt, der eine ziemliche Koryphäe im Bereich Hirntumore ist.
Zur Überbrückung wurde mir Cortison verschrieben, worauf ich ziemlich reagierte: In der ersten Woche war ich wie auf Speed, voller Energie, begann aber bereits einen sehr großen Appetit zu verspüren und in der zweiten Woche konnte ich auf einmal gar nicht mehr Schlafen, die Schmerzen steigerten sich ins Unendliche und ich bin zu Hause beim Warten fast verrückt geworden. Ich bekam einen Damenbart, Pickel ohne Ende und nahm rasant zu.
In diesem Zustand bin ich dann freiwillig eine Nacht vor der geplanten Einweisung ins Krankenhaus und man musste die komplette Reihe an Schlafmitteln an mir ausprobieren, bis ich endlich wieder einmal schlief. Auch am Vorabend der OP konnte ich nicht schlafen und bin erst halb vier eingeschlafen, wobei ich um halb sechs wieder zur Vorbereitung geholt wurde.
Ich beschreibe dies alles so detailliert, weil ich betonen möchte, dass dies natürlich sehr ungünstige Voraussetzungen für eine derartige Operation waren.
Jedenfalls war die OP soweit erfolgreich, mir ging es direkt danach ziemlich gut, ich bin eine halbe Stude danach im Aufwachraum zu mir gekommen und konnte bereits am folgenden Tag auf mein Zimmer. In der zweiten Nacht jedoch hatte ich einen Rückfall und musste wieder auf die Überwachungsstation. Ich gehe davon aus, dass ich an einem postoperativen Delir litt. Ich wurde völlig infantil, sprach nicht mehr, bzw. es kam nicht das aus meinem Mund, was ich sagen wollte. Ich vergaß kurzzeitig Deutsch, etwas langwieriger gestaltete sich der Verlust meiner drei Fremdsprachen Englisch, Französisch und Serbisch. Dies hielt mehrere Wochen an und war im Endeffekt der Grund warum die zweite Operation dann erst im Oktober angesetzt wurde.
Eine weitere Folge der ersten OP war tatsächlich die Facialisparese. Zudem war anscheinend bei der OP viel Luft ins Gehirn gekommen, was zur Folge hatte, dass ich 4 Monate fast konstant unter Kopfschmerzen litt. Ich habe anfangs Tropfen gegen die Kopfschmerzen genommen und später vor allem viel Kaffee getrunken, das hat prima geholfen. Die Zwischenzeit zwischen den Operationen habe ich mir mit meinem Mann sogar noch versüßen können - wir waren drei Wochen in Montenegro am Meer und das war großartig! Die geografische Distanz war großartig!
Bei der zweiten Operation wurden dann bis auf eine Verkapselung die restlichen 30% entfernt.
Daraufhin litt ich unter Diplopie (Doppelblick) sowie unter Gleichgewichts- und Motorikstörungen auf der linken Seite.
Für eine stationäre Reha hat es bei mir leider nicht gereicht, aber das lag mehr an den Verwaltungsproblemen des Virchow-Krankenhauses, ich denke, dass ich Anspruch gehabt hätte.
Jedenfalls habe ich die Reha insgesamt zweieinhalb Monate besucht, bis Februar 2014. Danach habe ich ab dem Sommersemester wieder mein Studium aufgenommen, was im Nachhinein wohl noch etwas zu früh war. Der Break kam im Rahmen eines Praktikums im Oktober 2014 und seitdem bin ich jetzt wieder krank geschrieben.
Seit ein paar Tagen habe ich einen neuen Zahnarzt und auch einen neuen Hausarzt und neue Infos für Therapien bekommen:
Anscheinend hat sich neben der Kaumuskelstörung bzw. der Störung des Kiefergelenks auch der oberste Halswirbel, der Atlas als Folge der Operation verschoben.
Wenn man sich einmal anschaut, wie sehr diese Störungen die Psyche beeinflussen können, kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus. Sie können Ängste und Depressionen hervorrufen, verursachen bei mir Schmerzen am Auge, des weiteren Tinnitus etc.
Das ergibt also ein neues Therapieprogramm:
1. (weiterhin) Logopädie
2. Akupunktur
3. Osteopathie
4. CMD
5. Funktionaloptometrie
6. Feldenkrais-Therapie
7. Psychotherapie
(8. gaaaanz viel Yoga)
Ich bin jetzt sehr froh, diese neuen Informationen zu haben - der oberste Halswirbel, der Atlas, trägt praktisch den ganzen Kopf und die Versorgungsbahnen zwischen Kopf und Körper sind bei mir anscheinend wegen der Verschiebung des Atlas gestört. Jetzt weiß ich, wo ich ansetzen kann und es heißt weiter üben, üben, üben
Ich hoffe, dass ich euch nicht zu sehr schocke, bei mir ist nicht alles glatt gelaufen, aber inzwischen geht es mir gut und ich habe im Alltag so gut wie keine Probleme - aber ich möchte eben auch das beste rausholen und soviel reinstecken wie möglich.
Ebenso hoffe ich, dass für alle neu Betroffenen es hilfreich sein kann, zu sehen, was es für Therapien gibt, wie kompleks das alles ist, aber dass man sich nicht kirre machen lassen darf und bei genauem Hinschauen die Problematik deutlich wird. Und dann ist man ja meistens schon einen ganzen Schritt weiter.
In diesem Sinne, alles Liebe,
Katja