HirnTumor-Forum

Autor Thema: Hilft eine Perücke?  (Gelesen 12471 mal)

Offline dorf-ei

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Hilft eine Perücke?
« am: 01. Februar 2011, 22:36:12 »
Liebe Forengemeinde...

Nach insgesamt 12 Operationen, die ganz ursprünglich einmal mit der Entfernung eines Meningeoms ihren Anfang nahmen, ist der Kopf meines lieben Freundes entstellt. Nach der Bestrahlung wuchsen die Haare im Bereich des Hinterkopfes (bestrahltes Feld) schon nur noch ziemlich spärlich, und durch die vielen Haut- und die Muskellappentransplantation ist der Kopf nun auch noch von etlichen, narbigen "Glatzen" durchzogen und gleicht vom Relief her den Rocky Mountains..

Dieser Zustand belastet ihn.. Mehr, als er offen zugeben mag. Er war zwar nie einer, der sich täglich stundenlang vor dem Spiegel "chic" gemacht hat, aber nun kann er sich selbst nicht mehr ertragen, wenn er in diesen guckt.

Ich, aber auch die Ärzte, haben ihn bereits auf die Möglichkeit eines künstlichen Haarteils angesprochen. Hellauf begeistert war er bisher von diesem Plan nicht, wenngleich er ihn auch nicht sofort abgelehnt hat. Nun frage ich mich, ob ich einfach einmal die Initiative für ihn ergreifen soll. Mich kundig machen soll, wo in unserer Nähe so etwas angeboten wird und schonmal einen Kontakt herstellen soll.

Mich hält davon ab, dass ich mir Gedanken darüber mache, ob ihm eine Perücke überhaupt zum jetzigen Zeitpunkt "helfen" könnte, oder ob er sich erst einmal richtig mit der neuen Situation auseinandersetzen muss, sich selbst erst einmal akzeptiert haben muss, bevor er enscheidet, ob eine Perücke ihm vielleicht den Alltag und den Umgang mit anderen Menschen erleichtert. Denn das Problem, dass er ja nunmal so aussieht wie er aussieht, sobald er das Haarteil wieder vom Kopf nimmt, bleibt ja bestehen...

Über eure Meinungen dazu, und evtl. auch Erfahrungsberichte zum Leben mit einer Perücke sowie hilfreiche Tipps würde ich mich freuen!

P.S.: Ich hoffe es scheint nicht absurd oder gar unverschämt und anmaßend, auf einer Plattform wie dieser einen Strang über Perücken zu eröffnen... Hier werden ja täglich so viele Schicksale besprochen, für deren Grausamkeit und Tragweite einem die Worte fehlen...
Bei uns ist es zur Zeit jedoch so, dass viele kleine, eigentlich als Lapalien zu bezeichnende Zipperlein vor dem Hintergrund des Krankheitsverlaufs, sich wie Bausteine zusammentun und zu einer nicht so schönen psychischen Befindlichkeit führen  :-\

Offline Toni

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Re:Hilft eine Perücke?
« Antwort #1 am: 02. Februar 2011, 12:47:20 »
Liebe Verena,

nach meiner Bestrahlung von 72gy habe ich an der Schädeldecke komplett und auch an der linken Seite des Schädels bis zum Ohr keine Haare mehr. Zu dem sind auch die "Rocky Mountains", was die Schädelknochen anbelangt, bei mir angesagt. Bei mir ist die Haut aber so empfindlich und fast papiern, dass ich mehrmals täglich mit einer Fettcreme behandeln muss: leicht und vorsichtig massieren. Die berechtigte Angst, eine kleine  Wunde würde niemals ausheilen ist zu groß.

Nach einem Jahr habe ich mich auch getraut eine Perrücke zu kaufen. Die setze ich auf wenn wir ausgehen, Theater, Kino, Freunde und so weiter. Sonst helfe ich mir mit Piratentüchern, Surftüchern aus, Baumwolle, gut waschbar und flott. Im Winter eine Strickmütze darüber...Die Perrücke drückt und kratzt, aber die Begeisterung und die Dankbarkeit meiner Umgebung, belohnt mich. Dankbarkeit, weil auch sie vergessen dürfen, wie krank ich bin...

Liebe Grüße,

Toni
"Von guten Mächten wunderbar geborgen..."

Offline Birdy

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Re:Hilft eine Perücke?
« Antwort #2 am: 05. Februar 2011, 19:09:35 »
Hallo

Auch meine Frau trägt außer Haus Haube oder Perücke. Es gibt Ihr Sicherheit und sie entgeht so den teilweise wircklich unangenhemen verstohlenen Blicke.

Ich würde nie etwas sagen aber wenn sie die Perücke trägt ist für mich Ihre Krankheit nicht so gegenwärtig.

m.f.G
Birdy

Offline dorf-ei

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Re:Hilft eine Perücke?
« Antwort #3 am: 10. Februar 2011, 10:41:21 »
Hallo,

wollte kurz berichten, dass ich mich zwischenzeitlich etwas zu dem Thema informiert habe und Anlaufstellen recherchiert habe. Darüber habe ich mich mit meinem Freund unterhalten.

Seine Meinung dazu ist, dass er erst einmal lieber "Mützenträger" bleiben möchte. Vielleicht kommen auch so langsam unsere Worte bei ihm an, dass er eigentlich irgendwie stolz sein sollte auf seinen Kopf, denn er ist das Zeugnis darüber, was alles schlimmes mit ihm passiert ist und wie super er alles durchgehalten und überstanden hat. Auch wenn der Kopf "anders" aussieht, abstoßend und eklig ist er auf gar keinen Fall, ein bisschen erschreckend vielleicht für Leute, die nicht über ihn und seine Geschichte bescheid wissen.

Ach, im Moment schwebt er ohnehin in so einem seelischen Hoch, Wunden toll, Blutwerte toll, Reha toll, da ist das auch alles erstmal nebensächlich. Gut so! Ich freu mich so  :)

Offline Bea

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Re:Hilft eine Perücke?
« Antwort #4 am: 10. Februar 2011, 11:02:53 »
Hallo dorf-ei,

schön, dass dein Freund sich so gut fühlt.

Es dauert bestimmt eine Weile, bis man sich mit dem veränderten Aussehen angefreundet hat.

Vor meinen fehlenden Haaren (und es war nur eine Rasur die ich durch ein Tuch bedecken konnte) habe ich es als unwichtig abgetan. Falsch!

Mir hat es damals sehr geholfen, wenn Menschen mir sagten, dass ich gut aussehe.

Weiterhin viele erfreuliche Fortschritte.
LG,
Bea

Offline KaSy

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Re:Hilft eine Perücke?
« Antwort #5 am: 05. März 2011, 01:57:42 »
Liebes Dorf-Ei,

ich wurde 1995, 1999 und 2007 an Meningeomen operiert und seit der Bestrahlung im Jan/Feb. 2000 wachsen auf der vorderen Kopfhälfte keine Haare mehr. Nun bin ich aber Lehrerin und wollte es natürlich auch bleiben. Ich war damals erst 42 Jahre alt. Der Strahlentherapeut sagte mir, dass ich eine Echthaarperücke anfertigen lassen sollte, denn den Kunsthaarperücken würde man ansehen, dass es Perücken seien. Ich hatte zufällig auch einen Hautarzttermin in dieser Zeit und die Hautärztin war der Meinung, dass es durchaus sehr gute Kunsthaarperücken gäbe, denen man es nicht ansieht und sie seien auch wesentlich pflegeleichter. Meine Hausärztin gab mir dann eine Adresse, bei der eine andere ihrer Patientinnen sich gut beraten fühlt.

Das ist eine Maskenbildnerin, die für Filmstudios gearbeitet und dadurch enorme Erfahrungen hat. Wichtig ist, dass die Stelle, die Ihr Euch auswählt, über eine große Vielzahl von Perücken verfügt, die man auch probieren kann. Ich habe damals meinen Vater und meinen Sohn mitgenommen, die viel mehr Geduld als ich hatten und erst als mein Vater sagte: "Das ist meine Tochter." und mein 19-jähriger Sohn es bestätigte, entschied ich mich für diese Perücke.

Es ist eine Kunsthaarperücke, der man es nicht ansieht. Man wäscht sie mit einem Spezialmittel alle Woche oder alle zwei Wochen, je nachdem, wie oft man sie trägt. Es ist sogar weniger schlimm, wenn sie mal vom Regen oder Schnee nass wird, die Frisur ist nicht gleich hinüber wie es bei normalen Haaren oder einer Echthaarperücke der Fall sein kann. Ich passe auf, dass die Haare nicht zu gut gestylt sind, damit es nicht künstlich - wie nach dem Friseurbesuch - aussieht. Es war für mich sehr wichtig und äußerst beruhigend zu hören, dass nicht nur in der Schule niemand es bemerkte, sondern sogar die Hautärztin und auch der Strahlentherapeut und der Neurochirurg, die es ja wussten, mich ehrlich fragten, ob das meine eigenen Haare seien.

Allerdings hält eine Kunsthaaarperücke weder Fön noch die Backofenhitze gut aus, aber das lässt sich vermeiden. Der zweite Nachteil ist, dass sie nur ein oder ein halbes Jahr getragen werden kann. Meine "Perückenfrau" sagte mir, man würde ja einen Pullover auch nicht ein Jahr lang täglich tragen. 
Damit der Perückenwechsel gerade in der Schule nicht auffällt, habe ich in den ersten Jahren immer in den Sommerferien eine neue besorgt (immer die gleiche, erst im Jahr 2008 traute ich mir eine mit Strähnchen zu) , und sie bis zum Schuljahresbeginn wenigstens einmal gewaschen.

Die jeweils alte nutze ich zum Schwimmen und zum Sport, wechsle in der Umkleidekabine und gehe mit trockenem und rasch gekämmtem Kopf nach Hause. Bei Klassenfahrten, wo ich mitunter ein Zimmer mit einer Begleitperson teilen muss, lasse ich sie auch nachts auf.

Ich habe damals sehr lange gebraucht, um mich mit der Perücke sicher zu fühlen. Ich wollte nicht, dass mich alle Leute komisch angucken, denn ohne würde ich mich niemandem zutrauen wollen. Ich laufe zwar zu Hause mitunter ohne, meist aber mit Basecap, Kopftuch oder Kapuze rum, auch im Garten. Aber der Blick in den Spiegel morgens und abends erinnert mich immer wieder an diese Krankheiten.

Für Euch käme zu dem wahrscheinlich irgendwann auftauchenden psychischen Problem, blöde und vor allem mitleidig angeguckt und für nicht ganz richtig im Kopf gehalten zu werden, was man mit größerem Abstand von den vielen OP und einem Sich-immer-besser-fühlen nicht mehr möchte, das Finanzielle dazu. Die Krankenkassen bezahlen nur für Frauen teilweise die Kosten für eine Perücke. Meine kostet mehr als 300 Euro, es gibt deutlich höhere Preise. Die Barmer übernimmt zur Zeit fast alles. Allerdings spart man sich natürlich die vorher notwendigen Friseurkosten, die sich auch bei einem Mann auf deutlich mehr als 100 Euro im Jahr summieren.

Ich habe wegen meiner Tätigkeit in der Öffentlichkeit auf Antrag einen höheren Anteil von der Krankenkasse erhalten, bevor er jetzt angehoben wurde. Ihr müsstet Euren (Haus-)Arzt überzeugen, ein Rezept (Hilfsmittelverordnung) zu schreiben, wo auf Grund der kosmetischen Problematik eine Perücke verordnet wird. Der Perückenmacher begründet das für die Kasse sicher auch. Ihr könnt es auch selber vorformulieren. Meine Perückenfrau macht auch die Abrechnung direkt mit der Krankenkasse. Und wenn das mit der Finanzierung nicht klappt, dann könnt Ihr Euch immer noch entscheiden, ob Ihr die Kosten auf Euch nehmen könnt.

Natürlich kann Dein Mann auf Dauer auch ohne künstliche Haare herumlaufen. Bei uns im Ort gibt es einen Mann, der es tut. Ich kenne ihn und seinen immer schon nicht gerade guten Charakter bereits länger und da paart sich in meinen Augen sein unangenehmes Auftreten mit dem unverschuldeten Aussehen.

Auf Deine Anfangsfrage "Hilft eine Perücke?" kann ich mit meiner heutigen Erfahrung für mich sagen: Die Perücke half mir, dass mir andere die Krankheit nicht ansahen und ich es dadurch leichter hatte, die Krankheit ungesehen mit mir herumzutragen und im Alltag und im Beruf normal auftreten und arbeiten zu können. Die Krankheitsfolgen psychischer Art trage ich seit wenigen Jahren in wachsendem Ausmaß mit mir herum, wenn man mir das äußerlich auch noch ansehen würde, würde ich mich in den häufiger auftretenden traurigen Momenten, wo einen das Selbstwertgefühl zu verlassen droht, gar nicht mehr aus dem Haus trauen. Insofern kann eine Perücke einen hohen psychologischen Wert für das relative und ständige Wohlbefinden haben.

Kratzen tut sie übrigens bei mir nicht, man schwitzt auch nicht darunter, da sie wesentlich dünner ist als die Karnevalsperücken. Und vom Kopfe fliegt sie auch nicht - obwohl ich da auch heute noch meine Bedenken habe und bei starkem Wind irgendwie sichernd reagiere.

Ich entschuldige mich bei allen Lesern, dass der Text so lang geworden ist, ich wollte mit meinen Erfahrungen gern helfen.

Liebe Grüße
KaSy
Wenn man schon im Müllkasten landet, sollte man schauen, ob er bunt angemalt ist.

Der Hirntumor hat einen geänderten und deswegen nicht weniger wertvollen Menschen aus uns gemacht!

Offline Iwana

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Re:Hilft eine Perücke?
« Antwort #6 am: 19. März 2011, 10:42:27 »
Hallo zusammen
KaSy hat viele Punkte schon erwähnt
Für mich kam noch ein Punkt dazu, nämlich dass ich ohne Perücke eigentlich immer kalt hatte (viel Wärme geht über den Kopf weg). Ich konnte anziehen was ich wollte, mir blieb kalt. Das besserte sich sehr mit der Perücke und auch ich hatte das Gefühl von Sicherheit denn die starrenden Blicke hat man irgendwann satt.
Zu Hause habe ich sie nie getragen, aber sobald ich wegging war sie immer dabei. Wenn man eine hat, heisst das ja nicht dass man sie immer tragen muss. Mittlerweile da meine Haare wieder dichter gewachsen sind ist sie bei mir im Schrank gut verstaut.
In der Schweiz wird die Perücke über die IV (Hilfsmittel) erstattet.
Gruss Iwana

 



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