HirnTumor-Forum

Autor Thema: Entscheidung treffen... Hin- und Hergerissen - wonach entscheidet man?  (Gelesen 9790 mal)

Offline Pem34

  • Mitglied Forum
  • God Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 646
    • Profil anzeigen
Ach Leute.... ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.

Angeregt durch die gestrige Sendung der ARD "Ein Sommer für Wenke", in der die an einem Hirntumor leidende 13-jährige Wenke sich entschlossen hat, keine Therapien im Krankenhaus mehr zu machen und zu Hause in Familie zu sterben, ist mir einmal wieder mehr zu Bewusstsein gekommen, was ich in naher Zukunft zu entscheiden habe.

Mein Mann erfuhr im Jahr 2002 von seinem Astrozytom - damals WHO Grad II. Wir konnten dann noch 7 Jahre ein doch recht harmonisches, fast sorgenfreies Leben führen. Mein Mann war erwerbsunfähig, hatte aber bis auf Epilepsie und dem Bedürfnis nach viel Ruhe kaum Einschränkungen. Im September 2009 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand innerhalb von einer Woche dramatisch. Er erblindete, wurde zwei Mal operiert. Inzwischen war der Tumor zu Grad III mutiert. Er bekam Bestrahlung und Chemo, wurde durch die Kombination aus allem dann orientierungslos. Danach sollte er mit Temodal behandelt werden. Zwei schreckliche Zyklen ließ er über sich ergehen, bis die Blutwerte so schlecht waren, dass man damit aufhören musste. Er magerte um 30 kg ab und im Frühling 2010 habe ich gedacht, er wird den Sommer nicht überleben. Trotz allem verbrachten wir einen Urlaub an der Ostsee und er fing an, sich langsam zu erholen. Sein Gewicht hat er inzwischen wieder. Aber dennoch, über den Zeitraum betrachtet, geht es ihm eigentlich immer schlechter. Es gibt Tage, da ist er kaum fähig zu stehen, geschweige denn, ein paar Schritte an der Hand zu laufen, ohne Hilfe sowie so nicht.

Das letzte MRT gab eine Größenzunahme der Zyste, also auf jeden Fall ein Indikator, dass sein Biest aktiv ist. Wenngleich der eigentliche Tumor nicht gewachsen ist. Der Arzt empfahl erneut Tomodal, allerdings in ganz niedriger Dosierung, um die Ernährung des Tumors einzudämmen. Also morgens und abends 20 mg. Ich war so hin- und hergerissen, denn eigentlich hatte ich im Vorfeld einen Entschluss gefasst: Wenn mein Mann schon sterben muss, dann durch seine Krankheit, nicht durch eine Chemo. Durch seine Symtomatik hat er nur noch den Geschmack als richtig funktionierendes Sinnesorgan... und das ihm auch noch nehmen. Nein, das will ich auf keinen Fall.

Der Arzt beschwor mich förmlich, es doch erst einmal zu versuchen. Absetzen kann man das Zeug doch immer noch. Also ließ ich mich - eigentlich gegen meinen Willen - breitschlagen. Und ja... in dieser niedrigen Dosierung verträgt er das Medikament einigermaßen. Ob es auch in irgendeiner Form etwas hilft, wird das nächste MRT zeigen. Allerdings wird mein Mann zurzeit ein wenig aggressiv und mürrisch. Haut überall gegen, niemand kann ihm etwas recht machen, nichts schmeckt usw.

So, nun zu dem, was mich eigentlich bedrückt: Kann ich eigentlich eine Chemo für ihn ablehnen? Darf ich das? Ich meine nicht rein rechtlich. Die Vorkehrungen haben wir getroffen.

Was ich meine ist : Kann ein Mensch überhaupt solch eine Entscheidung für einen anderen treffen? Es kommt mir vor, als ob ich eine Entscheidung über Leben und Tod zu treffen habe. Mir graut es mehr denn je vor dem nächsten MRT. Ich gehe immer davon aus: Was würdest du wollen, wenn du an seiner Stelle wärst. Würdest du so eine Behandlung wollen, wenn eigentlich eh alles ziemlich aussichtslos ist? Würdest du 8 Wochen länger leben wollen (wobei leben in diesem Fall eher leiden bedeutet)?

Kann mich jemand verstehen? Musstet ihr auch schon solche Entscheidungen treffen?

Schwermütige Grüße
Pem


fips2

  • Gast
Re:Entscheidung treffen... Hin- und Hergerissen - wonach entscheidet man?
« Antwort #1 am: 14. November 2011, 14:07:43 »
Direkte Gegenfrage Pem.

Wie hat sich dein Mann dazu geäußert?

 Er ist doch noch ein mündiger Mensch, der selbst entscheiden kann.
Ich würde ein ruhiges ehrlich, sachliches, aber doch liebevolles Gespräch mit ihm führen,wie er sich die Zukunft und weitere Behandlung vorstellt.
Schildere Ihm auch deine Ängste und die lästige Schwebe in der du momentan hängst, weil du doch unbedingt das tun willst, was in seinem Sinne wäre.
Nimm es so wie er entscheidet und trage es mit, egal wie die Entscheidung ausfällt.
So lange er noch selbst entscheiden kann, würde ich ihm das Zepter in der Hand lassen.
Im Moment ist es noch, mehr oder weniger, das Letzte, was er außer dir noch hat.

Vielleicht findet ihr so die Lösung.

Gruß und Umarmung an euch beide.
Fips2

PS:

 Hab noch was Wichtiges vergessen.
Nach der Entscheidung bitte die Familie und vor allen Dingen die Ärzte informieren. Bei Arzt und Klinik bitte schriftlich. Ganz wichtig. Informiert auch den Hausarzt. Die familie soll bitte die Entscheidung akzeptieren, auch wenns schwer fällt oder man andere Meinung wäre. Sagt das ganz klar.
Am Besten macht das dein Mann noch selbst und du stehst fest hinter ihm.
Ihr schafft das.....
« Letzte Änderung: 14. November 2011, 14:22:30 von fips2 »

Offline Pem34

  • Mitglied Forum
  • God Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 646
    • Profil anzeigen
Re:Entscheidung treffen... Hin- und Hergerissen - wonach entscheidet man?
« Antwort #2 am: 14. November 2011, 14:49:01 »
Danke fips.

Mein Mann hat irgendwie keinen eigenen Willen mehr. Sagt der Arzt so, ist das Ok, sage ich so, ist das OK. Es ist ein Charakterzug von ihm, Entscheidungen möglichst nicht selbst zu treffen - auch schon, wo er noch gesund war im alltäglichen Leben und jetzt ist er sich des Ausmaßes sicher gar nicht richtig bewusst. "Dafür habe ich doch dich" das ist seine Devise. Er verlässt sich da voll auf mich und seine Mutter. Das ist eine schwere Last für uns beide.

LG
Pem

Offline Pem34

  • Mitglied Forum
  • God Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 646
    • Profil anzeigen
Re:Entscheidung treffen... Hin- und Hergerissen - wonach entscheidet man?
« Antwort #3 am: 14. November 2011, 15:15:29 »
Wollte nur noch ergänzen, dass mein Mann auf der einen Seite bedauert, nicht bei der OP gestorben zu sein und allzu oft von sich gibt, dass er hofft, dass es bald vorbei ist.

Aber auf der anderen Seite erzählt er mich auch - und davon ist er dann überzeugt! - dass er morgen diese und jene Arbeiten erledigen wird. Und ich soll ihm unbedingt eine Kettensäge kaufen, wenn sie im Angebot ist, weil er ja - wenn er dann bald wieder sehen wird - ... und er meint das auch ernst.


fips2

  • Gast
Re:Entscheidung treffen... Hin- und Hergerissen - wonach entscheidet man?
« Antwort #4 am: 14. November 2011, 15:17:25 »
Sorry
Ironiemodus On
Aber, als er dich geheiratet hat, dann hat er das Ja sagen doch auch selbst entschieden.Oder?
Stand dein Vater mit der Schrotflinte dahinter, dass er nicht ab haut und auch wirklich Ja sagt?? ;D
Ironiemodus Off

In Dreiteufelsnamen,( ich hab grad ne hochrote Birne) mach ihm klar, dass dies Entscheidungen sind die er, als direkt Betroffener gefälligst selbst zu treffen und zu tragen hat und wenns die einzige Entscheidung in seinem Leben war die er selbst gtroffen hat.
Ich fass es nicht.
Er soll froh sein diese Entscheidung noch selbst treffen zu können.
Wie ist er denn die ganze Zeit durchs Leben gekommen?

Dass er ja noch Perspektiven und Pläne hat ist ja ganz schön und gut so.
Aber trotzdem musst du doch wissen wo du dran bist, wenn du für ihn entscheiden musst.
Diese Frage quält dich doch, oder hab ich da was verkehrt verstanden?
Gruß Fips2

« Letzte Änderung: 14. November 2011, 15:22:55 von fips2 »

Offline Pem34

  • Mitglied Forum
  • God Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 646
    • Profil anzeigen
Re:Entscheidung treffen... Hin- und Hergerissen - wonach entscheidet man?
« Antwort #5 am: 14. November 2011, 16:04:13 »
 :D Ja... bei der Hochzeit hat er ja gesagt!!!!!!!!!!!!!!!!!



Ja fips, diese Frage quält mich unsagbar.

Nur... ich denke inzwischen auch, dass er solche Entscheidungen nicht mehr treffen kann - ich meine geistig. Er weiß, dass er blind ist, aber den ganzen Tag geht es: "Das sehe ich doch"... da steht ein Bus in unserem Badezimmer, ein Abgrund vorm Bett... Dass ihm sein Hirn Bilder vorgaukelt, ja... aber er kann real nicht einordnen, dass es gar nicht so sein kann. Leider. Und so glaube ich, ist es auch mit seinem Denken um seine Krankheit.

Als wir uns damals gegenseitig unsere Vollmachten unterschrieben haben, haben wir schon darüber gesprochen, was man im Leben ertragen kann und will und mit welcher Folge. Nur gibt es im realen Leben mit dieser Krankheit eben nicht einfach klare Grenzen.

Offline Gitte1711

  • God Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 343
    • Profil anzeigen
Re:Entscheidung treffen... Hin- und Hergerissen - wonach entscheidet man?
« Antwort #6 am: 15. November 2011, 21:47:50 »
Liebe Pem34,

ich muß fips zustimmen. Überleg mal.

Ich hoffe ihr enscheidet Euch richtig.
Wünsche Dir viel Glück.

L G Gitte 1711

 



SMF 2.0.19 | SMF © 2022, Simple Machines
Hirntumor Forum © 1996-2022 hirntumor.de
Impressum | Datenschutzerklärung