Sonstiges zum Thema Hirntumor > Psychologische Betreuung

Bewältigungsstrategien bei Krebs

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KarlNapf:
Schon vor mehr als 25 Jahren erschien ein Buch [1] über die Bewältigung von Streß.

Nun sind natürlich auch Hirntumoren bzw. allgemein Krebserkrankungen für die Betroffenen (und ihre Angehörigen) mit dramatischem Streß verbunden. Ich fand eine Arbeit [2], die sich mit Bewältigungsstrategien bei Krebs beschäftigt, darin wurden (in Anlehnung an [1]) zwei Grundtypen herausgearbeitet. Ich benütze Tab. 1 aus Literatur [2] als Anregung, behalte die Grundstruktur bei, übersetze sie, aber nicht direkt 1:1, ich habe sie umformuliert, ergänzt und erweitert.

Die eine Strategie setzt auf die Reduzierung von Streßursachen, die andere auf die Reduzierung von Streß-induzierten Gefühlen. Typ 1) liegt mir am nächsten. Das war ja der ursprüngliche Gedanke , der zur Gründung des Forums führte, Austausch von Informationen. Die unter 2a) genannten Ansätze sind aus meiner Sicht ebenfalls positiv zu bewerten im Vergleich zu 2b). Menschen, die sich nach 2b) verhalten, werden wir kaum im Forum finden. Denn das dürfte ja ein Informationsbedürfnis voraussetzen.

Wenn wir die 45.000 Beiträge im Forum analysieren und nach bestimmten Kriterien quantifizieren würden (eine lohnenswerte Aufgabe für einen Doktoranden), dann fänden wir bestimmt heraus, daß die Sachinformationen gegenüber den Gefühlsäußerungen inzwischen in der Minderzahl sind.

1. Problem-zentrierter Typus   
Sucht Informationen
Sucht ein Behandlungs-Team aufzubauen
Verficht seine Sache selbst (denkt selbst, läßt nicht nur denken)
Hält die Behandlungsanweisungen ein (Compliance)
Verbessert seine Lebensweise, seinen Lebensstil
Bestimmt seine Prioritäten neu
Wendet Komplementärmedizin an
Bleibt in ständiger Verbindung, im Austausch mit dem Behandlungsteam
Erbittet die Hilfe von Freunden / der Familie und nimmt sie an


2. Gefühls-zentrierter Typus
Sucht emotionale Unterstützung
Sucht Zuflucht in Gebet / Meditation
Nimmt die Krankheit an / Entwickelt eine stoische Haltung
Ist auf den Augenblick zentriert

2a) Ist humorvoll
Hat einen Glauben (ein schwieriges Feld...)
Drückt seine Gefühle aus
Ist kreativ
Führt positive Selbstgespräche
Deutet die Krankheit positiv um
Verwendet Progressive Muskel-Entspannung oder Autogenes Training
Verwendet Selbst-Hypnose (Simonton...)

2b) Entwickelt eine Sucht (übermässiges Essen, Alkohol, Drogen...)
Sucht Zerstreuung
Verharmlost die Krankheit
Distanziert sich von der Krankheit, leugnet sie
Vermeidet Probleme      

Wahrscheinlich wendet man intuitiv zu unterschiedlichen Zeiten mal diese, mal jene Strategie an. Zu Beginn (nach der Diagnose, vor den ersten Therapien) wird man mit problemzentrierten Strategien weiterkommen (wo finde ich Spezialisten, was ist die für mich beste Therapie...?), im Verlauf der Krankheit wird man sich mehr um seine Gefühle kümmern (müssen).

Es wird ja hauptsächlich eine strukturelle, eine charakterliche Disposition sein, die das Verhalten, die Einstellung, die Bewältigungsstrategie bestimmt, es können aber auch biografische Umstände dazukommen.

Um das deutlich zu machen, stellen Sie sich bitte zwei Fälle vor:

Ein junger Familienvater mit einem Meningeom, das leicht operiert werden kann (Ein Meningeom ist natürlich kein Krebs, wird aber als genau so bedrohlich empfunden). Er war bis jetzt gesund, ist kräftig, hat einen großen Lebenswillen, ist in ein stabiles emotionales System eingebunden. Er wird vermutlich die Meningeom-Operation schnell hinter sich bringen und dann gelassen in die Zukunft blicken.

Auf der anderen Seite eine ältere, alleinstehende Dame, die schon immer eher pessimistisch ausgerichtet war, und jetzt zu einem grauen Star, einem Magenleiden, Diabetes, hohem Blutdruck auch noch ein GBM IV dazubekommt. Kann man es ihr verübeln, wenn sie verzweifelt?

Die Bewältigungsstrategien kann man auch in Lösungs- und Vermeidungsstrategien einteilen. Eine Lösungsstrategie wäre, wenn man nach Informationen sucht (hier muß man selbst aktiv werden), eine Vermeidungsstrategie wäre, wenn man den Kopf in den Sand steckt und die Krankheit verharmlost oder verleugnet.

Welche Strategie ist wirksamer?

Es gibt viele Ergebnisse von vielen Untersuchungen, die zeigen, dass bei Krebs eine positive Grundhaltung besser ist als eine negative. Die Suche nach Hilfe, nach Informationen, ein kämpferischer Umgang mit der Erkrankung wirkt sich auch emotional positiv aus. Suchen Sie im Internet aber nicht nach Überlebensstatistiken (die gibt es auch), eine Statistik sagt nichts über den Einzelfall aus.
Grübeln, Fatalismus, Resignation, Abhängigkeit von Alkohol oder Drogen wirkt sich (wie eigentlich zu erwarten) negativ aus. Nicht nur auf die Stimmung, auch auf die Prognose.

[1] Lazarus RS, Folkman S, Stress, Appraisal and Coping, New York, Springer, 1984

Appraisal = Bewertung
Coping = Krankheitsverarbeitung, -bewältigung
Man kann das Buch im UseNet kostenlos herunterladen (Link).

[2] Psychological Adaptation, Coping, and Distress in Adult-Onset Soft Tissue Sarcomas
Siehe dort unter: Coping Strategies, Types Of Coping Strategies

Iwana:
Hallo Karl
Danke für den Text. Habe noch eine Anmerkung, habe letzthin gelesen dass ein Hirndrucksymptom auch Unruhe sein kann die bis zu motorischer Unruhe führt. Dies erlebe ich seit wohl drei Monaten, zuerst ein inneres "Fibrieren" ein nicht stillhalten können. Mit meinem Rezidiv frage ich mich jetzt ob nicht der Tumor organisch bei mir "Stress" verursacht. Ich kann mich so gut erinnern an die Ruhe die ich nach der Operation damals Anfang 2008 hatte, ein neues Gefühl das ich so wunderschön fand, mal nicht den inneren Stress zu fühlen. Wenn mein Stress nach der nächsten OP wieder weg geht, dann denke ich, dass mein Tumor mir tatsächlich körperliche Unruhe macht. Ist ein spannender Ansatz, werde wohl meine künftigen Strategien überdenken müssen.

Könnte ich mir als Ziel vornehmen Entspannung vermehrt einzubauen, doch wenn es wie von mir geschrieben "organisch verursacht" ist ist es verdammt schwer das mental zu komopensieren.
Gruss Iwana

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