HirnTumor-Forum

Autor Thema: Das Glück der anderen  (Gelesen 24814 mal)

Offline Bea

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #15 am: 15. April 2011, 08:37:35 »
Hallo evlat,

das ist eine mehr als schwere Situation und das, was sich zwischen dir und deiner Mutter ereignet hat ist bestimmt schlimm. Aber es zeigt auch deutlich wo Grenzen sind. So traurig es ist, nimm diesen Gedanken bei der Planung zur häuslichen Pflege mit und bedenke es.

Deiner Oma kannst du die Dinge, die sie nicht abgeben will in Kartons packen. Lass ihr ihre Sachen, sie hat schon genug Verlustängste. Manchmal muss man nicht verstehen sondern akzeptieren.

Wichtig ist, dass ihr euch die Aufteilung der Pflege genau überlegt und danch seht, ob ihr dies überhaupt leisten könnt. Wenn deine Mutter zuhause ist, dann kann niemand mehr gehen, wenn es ihm zuviel wird.
Kümmert euch um den entsprechenden Pflegedienst und überlegt, ob auch Kurzzeitpflege eine Übergangslösung sein kann.

Je nach Prognose der Ärzte ist ein Hospiz eine sehr wertvolle Einrichtung die hervorragende Arbeit leistet.

Ich wünsche euch von Herzen Kraft. Und setzt euch evtl. mal bei einem netten Essen zusammen. Versucht Spannungen von euch fern zu halten. Ihr braucht euch gegenseitig sehr!

LG,
Bea

Offline evlat

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #16 am: 20. April 2011, 17:30:59 »
Ums Hospiz kümmere ich mich gerade. Auch wenn sie nur noch ein paar Monate daheim sein kann, so möchten wir und sie es natürlich dennoch. Diese Zeit über wird es mit dem mehrmals täglich kommenden Pflegedienst bestimmt auch funktionieren. Von der Kurzzeitpflege wurde uns abgeraten, da die wohl damit überfordert wären. Wenn daheim die Infrastruktur steht, wird es wohl klappen. Meiner Mama möchte ich es so lange wie möglich angenehm machen. Ich hab aus meinem Umgang mit meiner Mutter und auch dem harten Umgang mit meiner Oma gelernt. Ich habe dabei auch gelernt, wo meine Grenzen als Mensch sind.

Mein Chef, der seinen Vater an Leberkrebs verlor, meinte er ist in dieser Phase als Mensch enorm gewachsen. Das glaube ich ihm durchaus. Echte Veranwortung ist eine schwere Bürde.

Offline Trinity

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #17 am: 27. April 2011, 16:47:36 »
Hallo evlat,

ich habe grade deinen Thread entdeckt und ihn mit Verständnis, Traurigkeit und auch ein paar Tränen gelesen. Ich kann so gut nachvollziehen, wie du dich fühlst. Wie gerne hätte ich meine Mutter selbst gepflegt, aber da ich meinen Job habe und zu weit weg wohne, konnte ich es nicht. Mein Vater, meine Schwester und ich haben uns dann für ein Hospiz entschieden, was für meine Schwester und mich einigermaßen gut erreichbar war (ungefähr für jede die gleiche Strecke). Mama hatte es gut dort und ich hoffe, dass die Aussagen der Mütter hier auch auf meine Mutter zutrafen, denn manchmal überkommt mich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihr nie gesagt habe, wie sehr ich sie liebe. Eigentlich ist es mir erst nach ihrem Tod wirklich bewusst geworden. Ja, du hast recht, sie sind wirklich das Wichtigste im Leben, die Mütter, möge es ihnen immer wohl ergehen, auch wenn sie körperlich nicht mehr unter uns sind. Und genau daran halte ich fest, es geht nach dem Tod besser, keine Schmerzen, kein Leid.

Zurück zum Hospiz. Dort ging es Muttern gut. Sie wurde professionell (ich bin selbst in der Pflege, kann es also durchaus beurteilen) und v.a. menschlich gut betreut. Ich war fast jeden Abend bei ihr, manchmal denke ich aber, dass ich zu selten dort war. Es waren insgesamt sehr anstrengende 4 Monate, die wir sie begleitet haben, aber auch sehr intensiv, obwohl eine Pflege zu Hause nicht möglich war (mein Vater hätte es nicht leisten können).

Ich wünsche euch, dass ihr den psychischen und physischen Anforderungen gewachsen seid. Wenn ihr merkt, dass ihr es nicht seid, dann ist es keine Schande das Hospiz in Betracht zu ziehen, denn wie schreiben "unsere" Mütter hier: Wir wollen immer nur das Beste für unsere Kinder!

In Gedanken bei dir und deiner Familie
Kathrin
« Letzte Änderung: 27. April 2011, 17:07:40 von Trinity »
Alles hat einen Sinn, ich glaube fest daran. Es musste so kommen. (- meine Schwester 2005)

Offline evlat

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #18 am: 10. Mai 2011, 16:49:46 »
Liebe Kathrin,

vielen Dank für Deine Zeilen und Dein Mitgefühl. Ich versuche so viel Zeit woe möglich bei meiner Mutter zu sein. Ich bin früher nur alle paar Monate nach Hause gefahren. Jetzt fahre ich natürlich jede Woche. Ich merke aber langsam, dass ich müde werde. Ich hätte gerne mal eine Woche nur für mich alleine. Aber selbst wenn ich Urlaub nehmen würde, ich wär doch mit meinem Kopf und meinem Herzen eh nur bei meiner Mutter. Ich weiß nicht, wie es bei Deiner Mama war, aber meine ist wie ein Engel, seitdem sie geistig nimmer so fit ist. Ich bin dankbar dafür, dass sie nicht mehr weint. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ihre Denkleistung jetzt wirklich stark nachgelassen hat, auch wenn sie noch reden kann. Man merkt eben, dass die Krankheit voranschreitet. Für jeden Tag an die sie schmerzfrei ist und noch lächeln kann, sind wir dankbar.

Ganz selten stelle ich mir die Frage, "Warum meine Mama?". Dass das unsinnig ist, habe ich jetzt begriffen. Warum meine Mama, warum Deine? Weshalb das Kind von XY? Alles Unsinn. Es kann jeden treffen. Ich versuch dennoch meine Lehre aus allem zu ziehen. Zu verstehen, dass man für den Moment leben muss. Dass man seine Lieben immer anständig behandeln muss. Diese Lehre versuche ich zumindest bei meiner Mama umzusetzen. Ich küss sie ständig oder streichel ihr über die Wangen und versuche mit meinen Späßen zum Lachen zu bringen. Dabei präge ich mir ihr Lachen ein und versuche es in mein Gehirn einzubrennen. "Das ist Deine Mama."

Manchmal überkommen mich auch Flashbacks. Dann fällt mir ein, was für ein Arsch ich manchmal war und was für ein großes Herz meine Mutter und alle Mütter doch haben. Es ist verführerisch in Selbstmitleid zu zergehen, aber ich lass es bleiben. Ich muss da durch mit meinen 29 Jahren. Mein Bruder braucht ein Vorbild, das ihm den Rücken stärkt.

Manchmal frage ich mich, wie mein Leben weitergehen soll. Ich wünsch mir gern ne Familie. Wie soll ich die gründen? Letzte Woche hab ich ein Mädchen, dass sich in mich verliebt hatte weggeschickt. Die ganze Zeit hab ich mir ne Freundin gewünscht und als förmlich in eine reingerannt bin, hab ich sie doch nur als Last empfunden. Alles ist schwer, alles Belastung. Es macht mir nicht mal was aus, dass sie weg ist. Mama ist im Moment das wichtigste.

Zum Hospiz: was wir zu leisten imstande sind, dessen sind wir uns bewusst. So lange es ihr vergönnt ist bei uns zu bleiben, werden wir sie auch nicht weggeben.
« Letzte Änderung: 10. Mai 2011, 17:12:57 von evlat »

fips2

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #19 am: 10. Mai 2011, 18:09:40 »
Manchmal frage ich mich, wie mein Leben weitergehen soll. Ich wünsch mir gern ne Familie. Wie soll ich die gründen? Letzte Woche hab ich ein Mädchen, dass sich in mich verliebt hatte weggeschickt. Die ganze Zeit hab ich mir ne Freundin gewünscht und als förmlich in eine reingerannt bin, hab ich sie doch nur als Last empfunden. Alles ist schwer, alles Belastung. Es macht mir nicht mal was aus, dass sie weg ist. Mama ist im Moment das wichtigste.


Hallo Evlat

Dass dir das zu viel im Moment ist, kann sicher jeder nachvollziehen.
Aber du schreibst selbst, dass es eigentlich dein Wunsch ist eine Partnerin zu haben.

Wie hast du das Mädchen weggeschickt, wenn ich fragen darf?
Hast du ihr erklärt warum, oder zu den Gründen nur geschwiegen?
Wenn sie dich wirklich liebt, dann wird sie dafür Verständnis haben und warten bis du dazu bereit bist.
Vielleicht bist du irgendwann mal froh für eine Schulter, die dich stützt und bei der du dich ausweinen kannst.

Besinne dich langsam und sachlich darauf, dass du deine Mutti irgendwann gehen lassen musst.
Das Leben ist nun mal so, auch wenn es hart ist und klingt.

Zur Liebe gehört auch das "Gehen lassen" dazu. Diese Erfahrung müssen wir Großteils leider alle im Leben sammeln.
Vielleicht wirst du, wenn du diese Erkenntnis gewonnen hast, auch viel entspannter mit deiner Mutter und dem bevorstehenden Tod umgehen können. Du wirst dich dann sicher selbst nicht mehr unter einen solchen Druck setzten, wie unter dem du jetzt stehst.
Ich habe, deinem Schreiben nach, den Eindruck als wenn du dir selbst eine übermäßige Last auferlegst. Befreie dich davon.

Ich glaube aber, sie wäre vielleicht stolz, oder beruhigter, wenn sie wüsste, dass du eine Partnerin hast die dich liebt und sie versuchen wird deine Mutter zumindest teilweise zu ersetzten.
Mütter ticken da etwas anders. Sie wollen ihre Kinder versorgt und geborgen wissen, bevor sie gehen.
Ich wäre zumindest, als Vater auch beruhigter, wenn ich wüsste, dass meine Kinder einen Sinn im Leben und eine Partnerschaft haben, die ihnen nach meinem Tod beisteht.

Ich vergesse nie den Spruch von meiner Mutter, als sie auch schwer krank sagte: "Wenn ich nur noch erlebe dass alle Kinder verheiratet sind und liebe Partner haben."

Vielleicht wünscht sich deine Mutti das selbe, deine Partnerin noch kennen zu lernen und du tust ihr eine riesige Freude damit?

Lass es dir noch mal durch den Kopf gehen.

Gruß, Kraft und vor allen Dingen weiteren Lebensmut, um positiv in die Zukunft zu schauen, wünscht dir

Fips2

« Letzte Änderung: 10. Mai 2011, 19:55:19 von fips2 »

Lucie

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #20 am: 10. Mai 2011, 19:49:38 »
Hallo Evlat,

den Worten von fips kann ich mich anschließen.

Ich habe selbst 2 Kids, die sind 7 und 11 Jahre alt, also noch weit von einer Partnerschaft entfernt. Dennoch habe auch ich den Wunsch, dass meine Kinder gut auf eigenen Beinen stehen können, dass sie in ihrer Partnerschaft glücklich werden, dass sie ihr Leben nicht nur leben sondern auch genießen, bevor ich denn gehen muß. Als Mutter macht es mich wahnsinnig, wenn ich sehe, wie sehr die beiden unter meiner Krankheit leiden, wie sehr es den Alltag besonders meines Großen beeinflußt. Wie sehr wünsche ich ihnen eine unbeschwerte Kindheit und tue dafür sehr viel, auch wenn es mir mal nicht besonders geht. Du solltest dir also nicht extra das Leben schwer machen, deine Mutter ist bestimmt echt zufrieden, wenn du glücklich bist. Und ganz ehrlich - in deinem Alter hast du das Recht, an eine Partnerschaft zu denken. Es ist toll, wie du dich für deine Mutter einbringst, das soll sicher auch so bleiben. Ich habe den Eindruck, dass ihr ein gutes Verhältnis zueinander habt. Respekt!  Dennoch denk mal über diesen Satz hier nach, den ich selbst mal irgendwann gehört habe.... "Eltern sind für Kinder da, nicht Kinder für Eltern." Soll heißen, dass du nicht dein Leben auf später verschieben solltest, sondern jetzt leben darfst. Also nimm das Telefon in die Hand, ruf die Dame deines Herzens an und denke auch an dich! Deine Mutter wird froh sein!

Ich wünsch dir einen schönen Abend.
LG
Lucie


Offline KaSy

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #21 am: 11. Mai 2011, 21:00:37 »
Hallo, evlat,

als Mutti dreier erwachsener Kinder kann ich nur bestätigen, was fips2 Dir schrieb. Ich bin so froh, dass meine Jungs (28; 30) ihre festen Freundinnen haben und auch meine Tochter (26) in dieser Beziehung sehr offen ist. Auch sie mussten seit 15 Jahren meine langen Krankheitsphasen mitmachen und ich hatte dieselben Sorgen wie sie Lucie beschreibt. Aber sie haben damit zu leben gelernt. Und ich bin beruhigt, dass sie ihr Leben leben.
Ich bin sicher, Deine Mutti wird sich darüber freuen, wenn Du ihr erzählen kannst, dass Du jemanden kennengelernt hast. Sie würde Dich vermutlich mir ihr ins Kino scheuchen oder zum Tanzen oder einfach zum Spazierengehen, damit Du ihr dann mit glücklichen Augen von Deinem Leben erzählen kannst, dem Du eine Zukunft gibst. 

Es grüßt Dich
KaSy
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Offline evlat

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #22 am: 17. Mai 2011, 14:20:09 »
Hallo Leute,

Danke erst mal für Eure Antworten. Als meine Mama nach der OP noch fit war, hat sie auch deutlich ausgedrückt, dass sie leichter gehen könnte, wenn wir unter der Haube wären. Das Mädel habe ich im Zug kennengelernt, als ich ihr mit ihrem Koffer geholfen habe. Dann kam halt das eine zum anderen. Sie hat wirklich superverständnisvoll auf alles reagiert. Ich hab auch rel. schnell mit offenen Karten gespielt. Sie war eh der einzige Mensch, bei dem ich mich ausgeheult habe. Überhaupt hat sie nur versucht mir eine Stütze zu sein.

Allerdings habe ich gemerkt, dass ich es nicht genießen kann bei ihr zu sein. Es fiel mir schwer, mich auf sie einzustellen. So eine hätte ich mir sonst immer gewünscht und auf einmal ist es mir einfach egal. Es fiel einfach schwer meine Aufmerksamkeit auf meine Familie, meine Mama, meine Arbeit und dann auch noch auf sie aufzuteilen.

Es ist traurig.

Offline KaSy

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #23 am: 18. Mai 2011, 00:13:49 »
Lieber evlat,

natürlich ist das eine große Aufgabe, in der Du gerade steckst. Da nimmt der Kummer viel Platz in Deinem Leben ein. Es wäre auch eigenartig, wenn Du in der Lage wärst, bei Deinem Mädchen auf einmal alle anderen Gefühle wegzustecken, um mit ihr nur noch zu genießen.

Aber wenn es die Richtige ist, dann kannst Du auch offen mit ihr darüber sprechen, warum Du in Deinem Kopf nicht völlig frei für sie bist. Sie wird es verstehen. Lasst es langsam angehen, macht Dinge gemeinsam, wo Du mir ihr gemeinsame Interessen, Gefühle entdecken kannst. Wenn unter diesen für Dich schwierigen Bedingungen eine Liebe entsteht und besteht, dann hast Du die Richtige gefunden.

Gib nicht auf! Das Glück hat Dir DEIN Mädchen gerade in dieser Situation geschickt. Du hast die Chance angenommen, weil Du gerade jetzt und auch für später genau dieses Mädchen brauchst.

Ich wünsche Euch alles Glück und Deiner Mama gute Tage und einen Sohn, dem dieses Glück ein wenig aus den Augen schaut, wenn er bei ihr ist.

KaSy
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Offline evlat

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #24 am: 21. September 2012, 08:45:22 »
Hallo Leute,

ich hab schon länger nicht mehr geschrieben. Meiner Mama geht es graduell immer schlechter. Gott sei Dank ist sie noch ansprechbar und auch bei Bewusstsein. Das Gehen macht mittlerweile immer mehr Schwierigkeiten. Durch das Kortison degeneriert die Muskulatur weiterhin. Wir versuchen wieder die derzeit 16 mg/d auszuschleichen. Beim ersten mal hatte sie schwere Kopfschmerzen und wir fuhren mit der Kortisongabe fort. Aktuell wird die Low-Dose-Therapie mit Themodal fortgeführt. Das Rezidiv des Glioblastoms wächst zum Glück nur sehr langsam. Zwei Jahre und einen Monat ist es nun her, dass sie am morgen unvermittelt umgefallen ist. Seitdem ist die Welt nicht mehr das, was sie einmal war. Ich habe mir vorgestern mit meiner Freundin zum ersten mal Fotos aus meiner Jugend angeschaut. Meine Mutter auf den Fotos zu sehen hat mich fertig gemacht. Sie war schlank und jung. Auf den Fotos lächelt ist. Steht da. Aufrecht. Heute kann sie kaum mehr die 50 m auf die andere Straßenseite laufen, wenn wir sie in unsere Wohnung bringen. Gepflegt wird sie derzeit bei meiner Oma.

Mein Bruder wurde vor anderthalb Jahren mit seinem Studium fertig. Seitdem pflegt er aufopferungsvoll meine Mutter. Ich sitze hier 250 km entfernt und arbeite. Jedes Wochenende fahr ich zu ihr und versuche meinem Bruder etwas beizustehen, für ihn und meine Mutter da zu sein. Der arme Junge ist nun langsam am Ende seiner Kraft. Er hockt jeden Tag mit meinen manchmal sehr schwierigen Großeltern auf einem Haufen und kümmert sich auf herzzerreißend liebevolle Art um unsere Mama. Dies werde ich nie zurückzahlen können. Er hat sich die ganze Zeit nie beklagt. Nur langsam geht auch ihm die Puste aus. Natürlich geht es auch mir nicht gut. Aber im Vergleich zu ihm habe ich ja zumindest noch die Arbeit als Ausgleich und kann unter der Woche tun, was ich will.

Wir dachten alle, dass die Prognosewerte für die ihr verbleibende Zeit stimmen. Zum Glück geht es ihr noch recht gut und sie ist bei uns. Allerdings müssen wir unseren Alltag organisieren, damit auch mein Bruder und ich unser Leben fortführen können. Es klingt vielleicht komisch, aber die Krankheit meiner Mutter habe ich bereits verarbeitet. Ich habe sie akzeptiert und mache mir keine Illusionen. Aber dass das Leben meines 25 Jahre alten Bruders dadurch auf so negative Art und Weise durcheinandergeworfen wird, macht mir noch größere Sorgen.

Mein Vater ist 55 und noch weit von der Rente entfernt. Was mir und meinem Bruder sauer aufstößt, ist, dass er eigentlich mehr bei ihr sein sollte. Er wird auch nicht fertig damit. Letzte Woche hatte ich ein Gespräch mit ihm. Er sagt, wenn es nicht mehr anders geht wird er kündigen und sich Vollzeit um sie kümmern. Die Machtlosigkeit und Hilflosigkeit ist so schlimm. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Am liebsten würde ich selbst kündigen und mich um sie kümmern. Ich kann es aber nicht. Ich habe vor so vielem Angst. Was sollen wir tun, wenn sie in die präfinale Phase kommt? Wird sie leiden? Wird sie Schmerzen haben? Muss ich als Sohn nicht ständig bei mir sein? Bin ich nicht egoistisch, wenn ich es meinem Bruder zumute, dass er sie pflegt. Ich wache mit einem schlechten Gewissen auf und gehe mit einem schlechten Gewissen ins Bett.

Ich habe diese Thema mit dem Titel " Das Glück der anderen" gestartet. Als ich auf die Fotos gesehen habe, wurde mir klar, dass ich selber glücklich war. Allerdings war ich mir dieses Glückes erst bewusst, als die Krankheit meiner Mama in unserem Leben einschlug.


Euch allen meine besten Wünsche und Gebete


evlat

Offline BabsyO

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #25 am: 21. September 2012, 17:12:56 »
hallo evlat

bei meinem vater wurde vor ca. vier wochen ein tumor im gehirn diagnostiziert. vor drei wochen bekamen wir die diagnose glio IV, inoperabel, balken infiltriert.
über eine prognose wollte kein arzt etwas sagen. er wird seit zwei wochen bestrahlt und bekommt temodal. er ist halbseitig gelähmt, sein kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht mehr so recht (er erzählt viele dinge mehrmals)....

ich habe eine kleine tochter von neun monaten und eine nichte, die vor kurzem zwei wurde. wenn ich bilder von meinen eltern mit den zwei krümeln angucke zieht sich mein ganzer magen zusammen und ich wünsche mir "mein leben", wie es war, wieder zurück.
ja... oft hat man gehört, man sollte das leben genießen. und man dachte, man tut das. aber wenn man dann von einer solchen diagnose überrannt wird weiß man, dass man es nicht getan hat, oder zumindest nicht in dem umfang, wie man es tun sollte.

meine schwester und ich versuchen alles einigermaßen zu managen. es ist hart, weil mit kindern manchmal eine recht komplizierte logistik dahintersteht.
wir haben auch einen bruder. der wohnt ca. 90km weit weg... ja... was soll ich sagen. er arbeitet, damit er nicht über unseren vater nachdenken muss.... leider lässt er sich auch nicht blicken. ich finde das sehr schade, weil ich ihm sehr eindringlich gesagt hab, wie ernst die lage ist.
ich bin auch nicht jeden tag bei unseren eltern, ich pack das zeitlich nicht immer und auch psychisch nicht.
es tut mir so weh, meinen vater (vor fünf wochen war doch noch alles in ordnung?!) im rollstuhl sitzen zu sehen. wir unterhalten uns mit ihm. er leidet sehr an der situation. bis auf seine kurzzitgedächtnisprobleme ist er geistig noch fit. außer nach der bestrahlung. die nehmen ihn sehr mit.
er ist anders. er ist nicht besser oder schlechter als vorher. er ist nur einfach anders. und ich bekomme es nicht geregelt mich an diese neue situation zu gewöhnen. immerhin kannte ich "meinen alten papa" über 27 jahre.

auf der andren seite unsere mutter, die noch nicht an sich heranlassen will, dass es vermutlich keine besserung mehr geben wird oder könnte. ich kann und will ihr aber ihre illusionen nicht nehmen. sie und mein vater sind seit fast 40 jahren ein doppelpack.

ich versuche mir zwischendurch, auch wenn es vielleicht nicht richtig ist, vorzustellen, wie das leben weiter funktioniert wenn papa mal nicht mehr da ist. und ich habe das gefühl, dass ich diesem gedanken einfach nicht standhalten kann. das es nicht zu managen ist.
aber hätte ich vorher über die situation mit dieser krankheit nachgedacht, hätte ich auch gesagt, dass sowas nicht zu packen ist... man lernt mit allem umzugehen glaube ich. was heute noch unmöglich ist, muss morgen gehen.

für einen selbst dreht sich die welt auf einmal langsamer, und man hat das irrationale bedürfniss, dass das für andre genau so sein muss. was natürlich völlig idiotisch ist.
ich selbst fand krebserkrankungen in meinem umfeld immer schlimm und hatte auch echt mitgefühl. aber wenn man selbst auf einmal davon betroffen ist, ist das ne ganz andre hausnummer.

mein vater ist übrigens aktuell bei 24mg cortison.

ich wünsche euch, und auch uns, alle kraft der welt.
liebe grüße,
babsy
Nur wer getröstet wurde, kann wieder trösten. Nur wer durch Leid ging, versteht den Leidenden.

Offline Paujo

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Re:Das Glück der anderen
« Antwort #26 am: 22. September 2012, 16:30:50 »
Hallo evlat.....

vielleicht kann Dein vater sich die Pflegezeit nehmen???? Bei größeren Firmen ist das möglich und auch gesetzlich gesichert.
Für deinen Bruder wäre es sicher wichtig einen Ausgleich zu haben ob nun Therapie oder Trauerbegleitung oder eine selbsthilfegruppe. Einfach Leute die in auffangen.
Habt ihr keinen Hospizdienst mit Ehrenamtlichen??? Dies sind geschulte Leute die den Kranken betreuen und die Angehörigen begleiten. Kostet nichts und hat uns sehr geholfen.
Mit dem ausschleichen des Cortisons wäre ich sehr vorsichtig und langsam.....
als mein Mann bedingt durch den Krampfanfall kein Cortison bekam da kamen Kopfschmerzen die unerträglich gewesen sein müssen......und Schmerzen soll niemand haben der so krank ist.
und wenns sich langsam dem letzten Weg entgegen neigt dann muß niemand Schmerzen haben....kümmert euch um nen Palliativmediziner der hausbesuche macht und sich mit den entsprechenden Medis auskennt.....
mein mann hatt nur dieses eine Mal Schmerzen und dann nicht wieder und das dank der ausreichenden Betreuung des Arztes und des Palliativdienstes.

das Glück der anderen.....Glück wird auch irgendwann wieder bei Euch einziehen....auch wenn es dir jetzt noch unvorstellbar erscheint. Ich arbeite auch daran......
wenn ich Bilder aus glücklichen und gesunden Tagen schaue dann freue ich mich über die Zeit die wir hatten und bin dankbar dafür......ich hätte gerne mehr davon gehabt aber es sollte nun nicht sein.

mich hat dieser Weg auch sehr verändert...man schaut einfach anders in die Welt.....was vorher wichtig war das ist heute unwichtig. Mehr als das Glück der anderen ärgert mich immer der Egoismus und das geheuchelte Mitgefühl......das viele nicht über den eigenen Tellerrand schauen.....lästern über andere und jammern über das Essen was nicht schmeckt oder das dies oder jenes Mist ist.

ich kann dir nur raten Mama gehen zu lassen wenn es Zeit ist. Verabschiede dich und bedanke dich für die glückliche Zeit die ihr hattet...eines Tages sieht man sich wieder.....

ich wünsche deinem Bruder und dir viel Kraft und habt Verständnis für euren Vater. Es kann nicht jeder pflegen und er meint es sicher nicht böse.......
mein Vater kann weder in Krankenhäuser noch auf Beerdigungen gehen und das haben wir akzeptieren müssen. Jeder Mensch ist anders und dein Vater wird auf seine Art leiden da kannst du dir sicher sein.

ganz viel Kraft für euch
LG
paujp
Hinter dem Horizont geht s weiter.....

 



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