Expertengespräch „Versorgung / Kommunikation“ mit dem Thema Kinderwunsch (Fertilitätsprotektion)Prof. Dr. Christian Thaler (Leiter des Hormon- und Kinderwunschzentrums der LMU / Großhadern)
Felix Pawlowski (Deutsche Stiftung für Junge Erwachsene mit Krebs)
Ananda Plate (Patientin, Vertreterin der Chief Executive Officer (CEO) Myeloma Patients Europe)
Ananda Plate eröffnet das Gespräch, indem sie auf die große Bedeutung des Themas „Kinderwunsch“ hinweist, das gerade bei Frauen, Männern und Paaren im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung mit viel Hoffnung, Emotionen und Schmerz verbunden ist. Wenn man die Diagnose Krebs erhält, denkt man zuerst an alles andere, aber nicht an den eigenen Kinderwunsch, der bei sehr jungen Menschen oft noch in der Zukunft liegt.
! ! Dieses Thema stößt in Deutschland an gesetzliche Grenzen und überschreitet sie zum Teil. Es braucht Mut, Kraft sowie politische Initiative und Hartnäckigkeit, diese so wichtige Lebensqualität für die Zeit nach einer überstandenen Erkrankung für die Menschen mit Kinderwunsch, für die Mediziner und die Befürworter des Erhaltens bzw. Wiedererlangens der Fertilität durchzusetzen.
Entsprechend emotional, politisch fordernd, teilweise bedrückend, aber mit sehr viel, noch nicht immer erfüllter, Hoffnung verlief die Diskussion.Prof. Dr. Christian Thaler beschreibt mit Hilfe einiger Folien die
Möglichkeiten, die Fruchtbarkeit vor onkologischer Therapie zu schützenEr beginnt seinen Vortrag mit der Überschrift eines Zeitungsartikels:
„Der Gott hat uns zwei Leben geschenkt“. Es geht um eine junge Frau, die sehr lange und belastende Krebstherapien durchstand, die Erkrankung überlebte und wieder gesund wurde. Ihr wurde ihr Leben wiedergegeben. Nach einigen Jahren konnte sie es kaum fassen, dass sie schwanger wurde und ein gesundes Kind zur Welt brachte. Das war für sie und auch für das Kinderwunschzentrum eine Sensation, der zu diesem Artikel mit ihrem so sehr glücklichen Satz als Überschrift führte. Sie bekam später sogar noch ein zweites Kind.
Der Arzt beschreibt die Möglichkeiten des Erhaltens bzw. Wiedererlangens der Fertilität (Fortpflanzungsfähigkeit) im Zusammenhang mit den Krebstherapien:
1. Verfahren:
Operative Verlegung der EierstöckeDas ist ein relativ einfaches Verfahren, das mit dem „Schlüssellochprinzip“ durchgeführt wird. Die Eierstöcke werden verlegt, um sie vor einer Bestrahlung zu schützen. (Das hilft jedoch nicht, wenn eine Chemotherapie vorgesehen ist.)
2. Verfahren:
Medikamentöser Schutz der EierstöckeDie medikamentöse Ruhigstellung der Eierstöcke geschieht mit einer Depot-Spritze, die ein bis drei Monate lang wirkt. Sie versetzt die Eierstöcke in einen kindlichen Zustand zurück. Das wird deswegen getan, weil Beobachtungen gezeigt haben, dass kleine Mädchen Chemotherapien in Bezug auf ihre Fruchtbarkeit recht gut vertragen. Bei erwachsenen Frauen können als Nebenwirkungen Beschwerden des Klimakteriums
(Wechseljahre) auftreten, also z.B. Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Scheidentrockenheit.
Die Effekte dieser Methode in Bezug auf einen späteren Kinderwunsch werden in der Fachwelt kontrovers diskutiert. Mögliche Einflussfaktoren sind die Grunderkrankungen der Frau mit der Art ihres Krebsleidens sowie die Art der geplanten Chemotherapie. Mögliche Folgen waren je nach der untersuchten Fragestellung der durchgeführten Studien z.B. das Auftreten vorzeitiger Menopausen, der Anteil der Schwangerschaften.
Auf dieses Verfahren allein sollte man sich also nicht verlassen und eine weitere Methode ergänzen.
3. Verfahren:
Einfrieren von EizellenDas ist ein sehr gut etabliertes und sicheres Verfahren für den Erhalt der Fruchtbarkeit. Es wird mittlerweile umfangreich in anderen Bereichen der Reproduktionsmedizin genutzt.
- Social Freezing bezeichnet das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund. Diese Möglichkeit gibt Frauen, die sich ihren Kinderwunsch derzeit nicht erfüllen können oder wollen, größere Chancen auf eine Schwangerschaft jenseits des Alters von etwa 35 Jahren.
(Von gesetzlicher Seite gibt es dafür in der BRD keine Einschränkung, die Kosten betragen für die Gesamtbehandlung etwa 2200 €, die Kosten für die Lagerung etwa 155 € im Halbjahr.)
- Bei der Eizellspende wird das Kind mithilfe der gespendeten Eizelle einer anderen Frau gezeugt. Die Spenderin ist daher die genetische Mutter des Kindes. Die juristische Mutterschaft geht jedoch auf die Frau über, die das Kind geboren hat und damit auf die Empfängerin der gespendeten Eizelle.
(Laut dem Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 ist in der BRD die Eizellspende verboten, während die Samenspende erlaubt ist und es für die Embryonenspende keine Regelung gibt. Die Kosten im Ausland betragen zwischen 4000 € und 10000 €.)Für die Frauen, die durch eine Erkrankung, die Chemotherapie, die Bestrahlung unfruchtbar werden, ist das Verfahren, die eigenen unbefruchteten Eizellen einfrieren zu lassen, eine sichere Methode.
Bei diesem Verfahren wird am 1. Zyklustag, also am 1. Tag der Periode, damit begonnen, dass sich die Frau selbst körpereigene Hormone spritzt, um die Reifung der Eizellen zu intensivieren.
Im Eierstock kann man im Ultraschall nach wenigen Tagen sehen, dass mehrere „Fruchtbläschen“ heranreifen gegenüber dem einen, der sonst im üblichen Zyklus entsteht.
Am Tag 10 oder 12, also etwa in der Zyklusmitte, macht man dann eine kurze Narkose für einen Eingriff von etwa 10 Minuten, wo man durch die Scheide mit dem Ultraschall die Eibläschen sehen kann und sie absaugt. Auf diese Weise kann man 10, 15 oder 20 Eizellen gewinnen.
Wenn man die Zeit hat, kann man das möglicherweise sogar zweimal hintereinander machen. Für eine Punktion brauchen wir 10 bis 15 Tage, für zwei Punktionen knappe drei Wochen, da der „Start“ für die zweite Punktion in jeder Zyklusphase beginnen kann.
Diese Zeit steht eigentlich von onkologischer Seite immer zur Verfügung. Eine Krebsdiagnose ist zwar psychologisch ein Notfall. Man hat das Gefühl, ganz schnell etwas machen zu müssen. Tatsache ist aber, dass eine Krebserkrankung sich ja typischerweise über viele Monate oder Jahre entwickelt hat. Insofern macht es zu dem Zeitpunkt, wo man das diagnostiziert, keinen großen Unterschied, ob man mit der Krebstherapie drei Wochen später anfängt. Die Zeit haben wir also und wir bieten dieses Verfahren den Frauen an. Die Eizellen werden eingefroren und können beliebig lange bei sehr tiefen Temperaturen aufgehoben werden und stehen dann später zur Verfügung.
Die Kosten dafür werden glücklicherweise und endlich seit ganz wenigen Monaten erst von den gesetzlichen Krankenkassen komplett übernommen, also einschließlich der Medikamente und der Lagerung der Eizellen. Das war lange Zeit ein ganz großes Problem, denn es ist ein ziemlich teures Verfahren.
Die Sicherheit des Verfahrens, dass wir 20 oder 30 Eizellen gewinnen, ist ein ganz großer Vorteil. Denn wir brauchen so viele Eizellen, weil die durchschnittliche „Einnistungsrate“ bei unbefruchteten Eizellen etwa 5% bis 7% und bei befruchteten Eizellen 8% bis 10% beträgt. Es genügen also nicht zwei oder drei Eizellen, sondern man braucht 20 oder mehr Eizellen, um überhaupt eine Chance zu haben, dass eine Eizelle befruchtet wird, sich einnistet und zu einer Schwangerschaft führt. Eine Sicherheit dafür gibt es leider gar nicht. Aber je mehr Eizellen man gewinnen konnte, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau schwanger wird und ein Kind zur Welt bringen kann.
4. Verfahren:
Einfrieren von EierstockgewebeEierstockgewebe kann vor einer Chemo- oder Strahlentherapie entnommen, kryokonserviert (eingefroren) und im Falle eines Funktionsverlustes der Eierstöcke später transplantiert werden, um die Fruchtbarkeit wieder herzustellen. Das 4. Verfahren klingt zunächst ganz gut. Man friert den ganzen Eierstock ein. Das ist ein kleiner Eingriff, der zwar größer ist als das Absaugen der Eizellen. Aber man kann es ohne Vorbehandlung machen. Es entfällt also die vorherige Hormonbehandlung zur Stimulation der Bildung von Eizellen. Der Eierstock wird zum Teil herausgenommen und eingefroren.
Das ist ein interessantes, aber noch experimentelles Verfahren, für das bisher nur begrenzte Erfahrungen vorliegen. Es wird vor allem in Ausnahmesituationen oder als zusätzliches Verfahren im Rahmen des
Netzwerkes „Fertiprotekt“ (Zusammenschluss der Kinderwunschzentren) angewandt. In Deutschland wird das entnommene Eierstockgewebe dann an drei Zentren verschickt, da es nur dort, in Bonn, Düsseldorf und Erlangen, „Universitäre Kryobanken“ gibt.
Das Eierstockgewebe muss dann später reimplantiert werden.
Aber das übertragene Gewebe hat nur eine begrenzte Funktionsfähigkeit von einigen Jahren. Es gibt mit diesem Verfahren mittlerweile erst eine „überschaubare Zahl“ von Schwangerschaften gegenüber den zigtausend Schwangerschaften, die mit den eingefrorenen Eizellen entstanden sind. Es sind etwa 200 bis 300 Schwangerschaften - weltweit - die nach der Rücksetzung von eingefrorenem Eierstockgewebe entstanden sind und zu Lebendgeburten geführt haben.
Oft ist dennoch eine „künstliche Befruchtung“ erforderlich.
Das Risiko der Übertragung bösartiger Zellen mit dem zurück gesetzten Eierstockgewebe ist bisher noch nicht sicher geklärt.
Es ist ein Verfahren, das nur in einzelnen Fällen genutzt wird, also wenn man die Zeit von ein/zwei Wochen wirklich nicht hat. Oder man kann es zusätzlich machen, aber wir sind da eher noch zurückhaltend.
Die Fertilitätsprotektion ist eine interdisziplinäre Aufgabe, bei der viele Fachärzte beteiligt sind:Onkologen
Operateure
Psychologen
Reproduktionsmediziner
Gynäkologische Endokrinologen
Embryologen / Kryobiologen
Humangenetiker
Felix Pawlowski ist bei der
„Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs“ für die Presse- und Kommunikationsarbeit verantwortlich und spricht sehr emotional und beeindruckend von der aktiven und sehr langwierigen und zähen Arbeit, die Politik davon zu überzeugen, dass für die Menschen eigene Kinder zu ihrem Leben dazu gehören und auch in Deutschland
Krebs & Kinderwunsch endlich durch eine sinnvolle Gesetzgebung zusammengehören dürfen.
Für junge Menschen, bei denen wegen einer Erkrankung durch diese Krankheit oder/und durch die Therapien Unfruchtbarkeit droht, bietet diese Stiftung im Internet bei
www.junges-krebsportal.de umfassende Informationen, individuelle Unterstützung und den Austausch Gleichgesinnter für ihren späteren Kinderwunsch an.
(Man findet dort auch weitere Kontaktdaten.)Felix Pawlowski knüpft an die Vortragsinhalte von Prof. Dr. Thaler an und sagt, dass er beschreiben wird, wie es dazu gekommen ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen nach sehr langer Zeit endlich die emotionale Lage der Menschen verstehen und die komplette Finanzierung der Kinderwunschbehandlung übernehmen.
Das war lange, lange nicht so. Es ist ein ganz wichtiger psychologischer Effekt, wenn man erfährt, dass man die Fruchtbarkeit erhalten und später eine Familie gründen kann. Das bedeutet ja auch, dass man eine Krebserkrankung übersteht. Früher kam dann aber ganz oft der Hinweis: „Ja, es tut uns Leid, aber es kostet, und zwar nicht wenig.“ Bei Männern ist es einfacher, Spermien zu entnehmen und zu konservieren, da kostet es 500 €. Aber das Einfrieren von Eizellen einer Frau und die gesamte Behandlung kostet 5000 € oder sogar noch mehr.
Deswegen haben wir uns als „Deutsche Stiftung für Junge Erwachsene mit Krebs“ damit beschäftigt. Gegründet wurden wir im Jahr 2014 von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie e.V. (DGHO), damit junge Betroffene in Deutschland zwischen 18 und 39 Jahren eine zentrale Ansprechpartnerin haben für alle Dinge, die um die Krebserkrankung herum passieren, also das Organisatorische, sozialrechtliche Dinge, die Nachsorge, den Umgang mit der Krebserkrankung an sich. Dafür bieten wir als Stiftung Unterstützung. Das Schöne dabei ist, dass wir mit vielen sehr jungen Krebsbetroffenen zusammenarbeiten und ihre Erfahrungen aus erster Hand bekommen. Diese münzen wir dann in Hilfsprojekte um. U.a. bieten wir auch die Möglichkeit des Austauschs untereinander an, der sehr gefragt ist, weil man in den Kliniken und Praxen in seiner Altersgruppe oft relativ alleine ist. Denn Krebserkrankungen treten meist erst in gehobenem Alter auf. Wir haben in ganz Deutschland ein Netzwerk mit mittlerweile 37 Treffpunkten aufgebaut.
Das Thema Krebs und Kinderwunsch haben wir aufgenommen, weil sich die Bedürfnisse von jungen Erwachsenen mit Krebs deutlich von den Bedürfnissen älterer Betroffener oder den Betroffenen aus der pädiatrischen
(Kinder-)Onkologie unterscheiden. Bei uns spielen vor allem Themen eine Rolle wie die Unterbrechung der Ausbildung oder eben auch die Familienplanung. Das Thema Krebs und Kinderwunsch wurde vor vielen Jahren an uns herangetragen, weil junge Betroffene immer wieder auf uns zu kamen und gesagt haben: „Das Thema ist uns sehr, sehr wichtig, daran sollte man doch denken. Wir haben das Problem, dass das von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen wird. Wir stehen jetzt da und müssen versuchen, innerhalb kürzester Zeit sehr viel Geld zu organisieren.“
In einer Befragung, die von der Universität Leipzig unter jungen Erwachsenen mit Krebs durchgeführt wurde, stand das Thema Kinderwunsch unter den „Top 3“ der wichtigsten Themen. Da haben wir gesagt, da muss man doch etwas machen. Wir haben 2016/2017 erstmal angefangen, in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und bekamen viele Rückmeldungen von Betroffenen. Dann haben wir Informationen zusammengetragen, welche Verfahren es gibt und welche rechtlichen Voraussetzungen bestehen bzw. wo die Gesetzeslücke ist. An welcher Stelle müssten wir nachjustieren, damit das eine Kassenleistung wird. Diese Inhalte haben wir
im Jahr 2017 in der
„Gesundheitspolitischen Schriftenreihe der DGHO“ im Band 11 „Vom Krebs geheilt, aber nicht gesund. Keine Hoffnung auf eigene Kinder“ festgehalten und sind damit zu Gesundheitspolitiker/innen gegangen und haben mit ihnen darüber Gespräche geführt. Dabei haben wir junge Betroffene mitgenommen und diese haben den Politiker/innen, die meist sogar aus ihrem Wahlkreis kamen, ihre Geschichten erzählt, dass sie diese fruchtbarkeitserhaltenden Verfahren durchführen ließen und sie aber selbst bezahlen mussten. Das traf auf einen sehr breiten Konsens bei den Parteien, mit denen wir gesprochen haben und es sorgte dafür, dass ein Gesetzgebungsprozess angestoßen wurde. Der wurde durch unsere Stiftung und die DGHO als Fachgesellschaft unterstützt. Wir haben Stellungnahmen geschrieben und das ging eine ganze Weile, etwa zwei Jahre, und mündete dann darin, dass im Rahmen des „Terminservice- und Versorgungsgesetzes“ (TSVG)
im Mai 2019 eine Gesetzesanpassung für die Kryokonservierung von Eizellen erfolgte. Wir waren im Bundestag dabei und haben uns sehr gefreut, dass das endlich eine gesetzliche Leistung der Krankenkassen wird.
Doch das war nur der erste Schritt. Denn wir hatten alle gehofft, dass wir in dem Moment schon unseren Betroffenen sagen können: „Hier, reicht die Rechnung ein und Ihr bekommt Euer Geld.“
Dem war aber nicht so.
Im Gesetz stand nun schon das Folgende:
„Änderung des §27a im Sozialgesetzbuch V (SGB V) (Künstliche Befruchtung):
„(...) (4) Versicherte haben Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheint, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach Absatz 1 vornehmen zu können. (...)“
(5) Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 4.
Quelle:
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb 5/ 27a.html
In diesem Gesetz war also bereits festgelegt, dass für alle Betroffenen, also nicht nur Krebskranke, die Kosten für die gesamte Behandlung und Lagerung von den Krankenkassen übernommen wird.
Nun schloss sich aber noch ein zweiter Teil an:
Ein Ausschuss, in dem viele Vertreter aus dem Medizinbereich sitzen, sollte die Richtlinien erstellen, wie das Ganze in der Praxis aussehen soll.
Ein Bewertungsausschuss sollte die Kosten, die Abrechnungsziffern usw. festlegen.
Dafür bekam jedes Gremium ein halbes Jahr Zeit. Sie haben aber nicht 12 Monate gebraucht, sie haben 26 Monate gebraucht.
Die Kostenübernahme ist erst seit dem 1. Juli 2021 tatsächlich Pflichtkassenleistung.Diese lange Zwischenzeit war sehr frustrierend, weil wir in dieser Zeit viele Betroffene begleitet haben, denen wir sagen mussten, dass das Gesetz schon existiert, sie es aber noch nicht in Anspruch nehmen können.
Das Gesetz in der Praxis:Wenn der behandelnde Arzt sagt, dass fruchbarkeitserhaltende Maßnahmen nötig sind, besteht darauf ein Anspruch.
Es folgt ein zweistufiges Beratungsverfahren mit dem Onkologen bzw. Hämatologen und dem Fertilitätsmediziner.
Frauen bis zum 40. Lebensjahr und Männer bis zum 50 Lebensjahr können diese Leistungen in Anspruch nehmen.
Es umfasst auch die Maßnahmen der Samen- und Eizellkonservierung sowie des Hodengewebes, nicht aber die Entnahme und die Lagerung von Ovarialgewebe, das ist ein Sonderfall.
Probleme bei der Umsetzung des Gesetzes:Der Sonderfall bei der Lagerung von Ovarialgewebe besteht darin, dass die Entnahme und das Einfrieren von Samen oder Eizellen zu einer künstlichen Befruchtung führen, die Reimplantation der Eierstöcke aber zu einer natürlichen Befruchtung. Das ist eine Krankenbehandlung und diese müssen die Krankenkassen sowieso schon übernehmen. Allerdings hatten die Krankenkassen im Jahr 2010 dagegen geklagt, weil sie meinten, es sei ein experimentelles Verfahren, das man nicht anerkennen kann. Nun gibt es dieses Verfahren bereits seit 25 Jahren, es wurde 1997 das erste Mal in Erlangen durchgeführt, und deswegen ist eigentlich dieses Urteil längst überholt. Wir kämpfen gerade darum, dass dieses Verfahren in Zukunft auch übernommen wird. Wir haben gerade vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) erfahren, dass noch vor Weihnachten 2021 das „Stellungnahmeverfahren“ eröffnet wird und wir hoffen, dass es im Laufe des Jahres 2022 genehmigt und finanziert wird.
Bisher gibt es die Einschränkungen für Betroffene unter 18 Jahren, weil die Hormone zur Stimulation von Eizellen vor dem 18. Lebensjahr nicht zugelassen sind. Da hat der GBA eine Lücke gelassen und wir müssen sehen, wie sich das in der Praxis verhält, wenn z.B. zwei Mädchen in einem Patientenzimmer sind und die eine hat gerade ihren 18. Geburtstag hinter sich und der anderen fehlen noch ein paar Tage bis dahin. Da sollte es Lösungen geben.
Sehr problematisch war die Übergangszeit der letzten zwei Jahre. In diesen 26 Monaten haben wir etwa 200 junge Betroffene begleitet, die Anfragen an uns gestellt und gesagt haben, dass sie das Ganze eingereicht haben, es aber nicht übernommen wurde. Wir haben etwa 200 Widersprüche geschrieben und befinden uns jetzt sogar mit etwa 12 Betroffenen in einem Sozialrechtsprozess.
Wir hatten in dieser Übergangszeit, als das noch nicht geregelt war, mit 109 Krankenkassen Kontakt aufgenommen und sie gebeten, in dieser Übergangszeit doch so kulant zu sein und auf Einzelfallbasis die Kosten zu übernehmen. Auf unsere erste Briefaktion hatten wir sieben positive Rückmeldungen und auf unsere zweite etwa zwanzig. Da waren zum Glück einige große Krankenkassen dabei, aber die großen Ersatzkassen zum Beispiel nicht. Deswegen hatten die meisten Betroffenen tatsächlich mit Ablehnungen zu leben. Das ist sehr schade, denn die Betroffenen können sich ja nicht aussuchen, wann sie erkranken. Der letzte in einem Prozess abgelehnte Fall war am 16. Juni 2021 und zwei Wochen später trat das Gesetz in Kraft. Das ist sehr schwer zu erklären.
Was wir auch gelernt haben, war die teilweise sehr unschöne Kommunikation der Krankenkassen mit den Betroffenen. Da wurde sehr viel am Telefon bedrängt. Wir haben auch alle Textbausteine aus Briefen von den Betroffenen geschickt bekommen und wir wissen daher, mit welchen teilweise sehr zweifelhaften Aussagen die Krankenkassen an die Betroffenen geschrieben haben. Das war sehr ärgerlich.
Eine weitere Schwierigkeit ist die Übernahme der Kosten der Lagerung von denjenigen, die bereits ihre Samen oder Eizellen konserviert haben, denn seit dem 1. Juli 2021 müssen auch die Lagerkosten von den Krankenkassen übernommen werden. Aber das bedeutet, dass man die alten privaten Verträge, die man mit den Kryobanken abgeschlossen hatte, umgeschrieben werden müssen auf zukünftige Abrechnungen durch die Krankenkassen. Und das gestaltet sich im Moment als äußerst schwierig.
Ananda Plate berichtet von ihrer eigenen Krebserkrankung, durch die sie unfruchtbar wurde, als sie Mitte 20 war. Sie hatte einen längeren Weg von Fehldiagnosen hinter sich, bevor der Krebs erkannt wurde. Dann musste sie eine der schwersten Therapien durchstehen und durchlebte Todesängste. Zuvor hatte sie von den Ärzten keinerlei Aufklärung darüber erhalten, dass die Chemotherapie zur Unfruchtbarkeit führen könnte. Erst im allerletzten Moment erfuhr sie von Möglichkeiten, sich später ihren Kinderwunsch doch noch erfüllen zu können und ließ ihre Eizellen einfrieren.
Fünf Jahre nach Abschluss der Therapien galt sie als geheilt und bemühte sich um das Auftauen der Eizellen. Das wurde aber falsch gemacht und die Eizellen wurden dabei zerstört. In Deutschland war eine künstliche Befruchtung mit einer Eizellspende damals unmöglich, aber in einigen europäischen Länder wurde es schon gemacht. Sie fuhr nach Spanien und unterzog sich dort der Behandlung einer künstlichen Befruchtung. Sie musste dafür 10000 € bezahlen.
Sie zeigt ein Foto mit ihr und ihrem jetzt vierjährigen Sohn, auf dem beide sehr glücklich sind.
Ihre Schwangerschaft wurde mit der Eizellspende einer anderen Frau erzeugt. Das ist in Deutschland immer noch verboten, aber man darf darüber reden, sagt sie. Dieses Verbot steht im „Embryonenschutzgesetz“, das im September 1990, also vor 31 Jahren, im Bundestag beschlossen wurde. Die Partei der Grünen war erstmals im Bundestag und hat zugestimmt. 31 Jahre - das ist so lange her, da war Krebs noch nicht heilbar, es gab noch keine Handys, kein weltweites Internet. Die medizinische Forschung ist jetzt so viel weiter, da ist dieses Gesetz längst überfällig!
Sie zeigt die folgenden drei Folien:Was passiert bei der Diagnose?- Werde ich das überleben? - Man befindet sich in einem Schockzustand.
- Man ist mit Therapieoptionen, Prognosen, dem möglichen Tod und vielen Informationen überfordert, die man nicht versteht.
- Ein normales Familienleben nach der Therapie ist das Letzte, woran man in diesem Moment denkt.
- Der hohe Zeitdruck, die Therapie zu beginnen, erschwert informierte Entscheidungen.
Was bedeutet die Eizell-/Samenspende für uns in der Praxis?- Informationshürden
- Ethische und rechtliche Hürden
- Gesellschaftliche Hürden
- Klinische Hürden
- Finanzielle Hürden
Was sollten wir von unserem Arzt verlangen?Die Aufklärung über die Möglichkeiten der Fertilitätserhaltung sollte bei der Diagnose einer Krebserkrankung zur Routine gehören - auch wenn im Patienten-Arzt-Gespräch oft wenig Zeit bleibt!
Warten Sie aber nicht darauf, dass Ihr Arzt Sie informiert:
- Fragen Sie selbst nach den möglichen Risiken für die Fruchtbarkeit.
- Diskutieren Sie die besten Möglichkeiten zur Erhaltung der Fruchtbarkeit, auch wenn das bedeutet, dass Sie dafür in ein anderes Land reisen müssen.
- Teilen Sie Ihre Prioritäten mit Ihrem Arzt - auch wenn sie nicht mit seinen Prioritäten übereinstimmen.
- Bestehen Sie darauf, zeitnah an einen Fertilitätsspezialisten überwiesen zu werden - warten Sie nicht zu lange.
Bitten Sie Ihren Arzt, ehrlich zu sein und keine falschen Erwartungen zu wecken!
Es folgt ein Gespräch der Anwesenden.Prof. Dr. Christian Thaler freut sich über den glücklichen Ausgang ihrer Krebserkrankung und darüber, dass sie ein Kind bekommen konnte.
Er sagt, das wir jetzt viel weiter sind, denn einige Dinge sind glücklicherweise in die Routine eingegangen. Die Beratung zur Kinderwunschbehandlung gehört zur Standardberatung in den Diagnosegesprächen bei einer Krebserkrankung dazu. Die Entwicklung bis dorthin war nicht immer einfach, denn auf vielen Zusammenkünften von Onkologen ging es stets vorrangig um das Heilen des Krebses und nicht um das Leben nach dem Heilungserfolg. Aber diese Perspektive eines Lebens mit einer Familie gehört mit zum Prozess der Therapie, zum Durchstehen dieser teils sehr belastenden Behandlungen.
Die Wissenschaftler, auch der Leopoldina, haben seit Jahrzehnten in mehreren Legislaturperioden Gesetzesvorlagen eingereicht, aber die Politik hat immer anderes zu tun.
Die Samenspende ist erlaubt, aber die Eizellspende ist im „Embryonenschutzgesetz“ explizit verboten. In Deutschland war man lange der Meinung, die Kinder, die mit der Eizelle einer anderen Frau entstanden sind, hätten später Probleme mit der „gespaltenen Elternschaft“, weil sie eine Mutter haben, die das Kind ausgetragen hat und eine andere genetische Mutter. Später hat es sich natürlich gezeigt, dass die Kinder damit kein Problem hatten und genauso gesund sind wie andere Kinder auch. Insofern ist eine Anpassung dieses Gesetzes längst überfällig.
In der BRD ist die Beratung und Information durch den Arzt über das Verfahren der Eizellspende immer noch ein „Offizialdelikt“ oder ein „Beihilfedelikt“, also eine strafbare Handlung. Das geht z.B. sogar soweit, dass der Ehemann, der seine Frau zu dieser Behandlung fährt, belangt werden kann. Es gibt Fälle, wo die Staatsanwaltschaft ermittelt hat. Da fühlt man sich als Arzt sehr schlecht.
Felix Pawlowski erzählt, dass er häufig in den sozialen Medien liest oder manche Betroffene von ihrem Umfeld die Frage gestellt bekommen:
„Warum adoptiert Ihr nicht einfach ein Kind?“ Das ist überhaupt nicht so einfach, wie manche es denken. Vor einer Adoption eines Kindes werden die Paare gründlich, auch auch ihre Gesundheit, geprüft und wenn in der Familie Krebs aufgetreten ist, gilt das Paar als nicht stabil, denn es könnte doch sein, dass die Krankheit wieder ausbricht.
Wir werden von Betroffenen häufig gefragt:
„Was können wir denn tun?“ Wir können dann nicht einfach sagen: „Geht ins Ausland und lasst Euch dort helfen.“ Wir werden uns aber als Stiftung gemeinsam mit den Betroffenen weiter bemühen und uns an die Regierung und den Bundestag wenden. Wir treffen immer häufiger gerade in der Zeit vor den Bundestagswahlen (am 26.09.2021) auf „offene Ohren“ gerade bei den Parteien, die jetzt wahrscheinlich in der Regierung mitwirken werden und dadurch nimmt unsere Hoffnung auch zu.
Ananda Plate glaubt, dass die gerade neu gewählte Regierung eine „Riesen-Chance“ bedeutet, um Änderungen zu bewirken.
Zur Zeit gehen in jedem Jahr immer noch etwa 5000 Paare ins Ausland und unterziehen sich dort dieser Behandlung, um sich ihren Kinderwunsch doch noch zu erfüllen.
Es darf doch nicht sein, dass ein Arzt dafür belangt werden kann, weil er Betroffene über Methoden zur Erhaltung der Fruchtbarkeit informiert!
Sie hat einen sehr schönen Satz von Wissenschaftlern der Leopoldina gehört:
„Es ist in hohem Maße problematisch, potentielle Kinder schützen zu wollen, indem man ihnen das Leben erspart!“ Dieser Satz ging ihr nicht aus dem Kopf, als sie diesen Vortrag vorbereitet hat, denn es ist doch so! Es ist doch total veraltet, diese medizinischen Möglichkeiten den Menschen vorzuenthalten.
Prof. Dr. Christian Thaler ergänzt, dass er oft mit den Wissenschaftlern der Leopoldina in Berlin zusammengesessen hat. Die Reproduktionsmediziner dort ziehen alle an einem Strang. Einer seiner Kollegen hat jetzt für den nächsten DEG-Kongress
(Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie) einen Vortrag vorbereitet, der das Thema trägt: „Politiker*innen kommen und gehen - das Embryonenschutzgesetz bleibt bestehen.“ Wir brauchen endlich ein zeitgemäßes Gesetz in Deutschland.
Im Jahr 2003 ist in Deutschland ein
„Gesundheitsmodernisierungsgesetz“ in Kraft getreten, das bis heute den Kinderwunsch sehr erschwert. In diesem Gesetz ist auch heute immer noch geregelt, dass man nach dem Auftauen der Eizellen, wenn man sie befruchtet,
nur die Hälfte der Kosten von den Krankenkassen erstattet bekommt. Man hat
nur drei Versuche und
man muss verheiratet sein. Also wenn man z.B. seit zehn Jahren als festes Paar zusammen ist und man ist nicht verheiratet, dann bekommt man es nicht erstattet. Und dann gibt es noch die
Altersgrenzen, das Paar muss mindestens 25 Jahre, aber die Frau noch nicht 40 Jahre und der Mann noch nicht 50 Jahre alt sein.
Dieses Gesetz ist von den Grünen (Joschka Fischer) und der SPD (Gerhard Schröder) gemeinsam mit der Mehrheit im Bundestag beschlossen worden.
In dem Jahr, das diesem Gesetz folgte, sind in Deutschland 10000 Kinder weniger geboren worden. Aber dieses Gesetz ist bis heute nicht geändert worden und das in einer Zeit, wo man sich über jedes Paar freuen sollte, dass Kinder bekommt.
Gemeinsam wird das Gespräch mit den Worten beendet, dass es noch viel zu tun gibt und in der gemeinsamen Arbeit auch erreicht werden kann.
KaSy
1. PS: Alles kursiv geschriebene stammt von mir.
2. PS: Interessant ist für junge Betroffene auch: „Finanzielle und soziale Folgen der Krebserkrankung für junge Menschen“ (Band 16 der „Gesundheitspolitischen Schriftenreihe der DGHO“)