Film „Käthe und ich - zurück ins Leben“ (ARD 19.+26.8.2022)
Ich habe am Freitag, dem 19. August 2022 den Film „Käthe und ich“ über die Arbeit und das Leben des Therapeuten Paul und seiner Therapiehündin Käthe gesehen.
Paul setzt sich mit sehr viel Geduld für den jungen Chris ein, dessen Gesicht seit einem Hubschrauberabsturz entstellt ist, bei dem auch noch seine Mutter starb. Aus seinen Erfahrungen mit anderen Menschen verzweifelt er noch mehr und zieht sich in seine Traumwelt zurück. Er verlässt seine Wohnung nur nachts und gestaltet seine kleine Wohnung zu seiner eigenen Insel um. Auch auf die Mieter des Hauses kann er nicht mehr zugehen. Sie sehen ihn als Monster an, da sie ihn, wenn überhaupt, nur mit einer Skimaske sehen, aus der nur seine Augen heraus schauen. Die Mieter beschweren sich beim Hausbesitzer über den ihnen unheimlichen jungen Mann. Eine ältere Mieterin kündigt ihre Wohnung und in der Folge wird seine Wohnung gekündigt.
Die bislang einzige Therapeutin, der Chris sein Gesicht zeigt, versucht mit einem starken Experiment, den Hausbesitzer in die abschreckende Wirkung des Aussehens von Chris hineinzuversetzen. Sie schminkt ihm, dem erfahrenen Journalisten, entstellende Narben in sein Gesicht. Er macht das mit und meint, das Aussehen wäre zweitrangig, man müsse nur auf die Leute zugehen. Sie geht mit ihm durch die Stadt. Er lächelt die Menschen angestrengt an, aber die Leute schauen sich nach ihm um, reden über sein abschreckendes Aussehen und schauen weg. Vier Jugendliche lachen und filmen ihn mit ihren Smartphones. Auf diese geht er zu, fragt, warum sie ihn filmen und erklärt ihnen, er hätte einen Unfall gehabt und nun sehe er so aus. Statt das erhoffte Verständnis zu zeigen, stehen die Jungs auf und gehen fort. Diese Erfahrung ist für den Mittvierziger durchaus erschütternd, aber die Wohnung des jungen Mannes kündigt er trotzdem. Das Haus ist seine Altersvorsorge, sagt er, aber er wird einen Artikel über das Schicksal des bedauernswerten Entstellten schreiben.
Chris darf vorübergehend im Bootshaus bei Paul an einem See wohnen. Die Hündin Käthe hat Zugang zu ihm gefunden. Hübsche Mädchen, die er beim Stand-up-Paddeln, auf der Wiese liegend und beim fröhlichen gemeinsamen Essen beobachtet, holen Chris aus seiner Traumwelt. Er befragt Paul, wer sie sind. Es offenbart sich seine Sehnsucht nach einer Umarmung, nach einem Kuss, nach Liebe, nach einer eigenen Familie mit Mama, Papa, Kind. Aber er vermag es nicht, sich ihnen zu zeigen. Das Mädchen, zu dem er sehr gern einen Kontakt aufbauen würde, taucht gern, so wie er. Also zieht er einen Taucheranzug an, der sein Gesicht verdeckt. So ganz richtig findet er das nicht, es sieht so aufdringlich aus, so ganz zufällig am See in einem Taucheranzug auf sein Traummädchen zu warten. Aber es klappt, sie tauchen gemeinsam, sie liegen nebeneinander auf der Wiese – er mit der Taucherbrille und einer Ausrede deswegen – sie reden und lachen sogar. Er ist so glücklich. Sie fragt, ob sie heute Abend telefonieren wollen und er stimmt begeistert zu – bis sie ihm sagt, sie möchte videofonieren. Wie soll das gehen, fragt er Paul verzweifelt.
Aber Chris hat den ersten Schritt getan, er hat ein Ziel und das weckt Ideen. Er legt sich ins Bett, zeigt nur seine schöne Seite und beide reden fröhlich, bis sie einschläft und er sie die ganze lange Nacht ansieht. Chris schafft noch mehr. Er traut sich, wieder in die Schule zu gehen, um sein Abitur zu beenden. Doch in dieser Klasse ist auch „sein Mädchen“, das sein Gesicht noch nie gesehen hat. Die Lehrerin bereitet die Abiturklasse sehr gut auf sein Erscheinen vor. Seine Therapeutin, Paul und Käthe sind zu seiner Sicherheit bereits in der Klasse, als er hineinkommt. Keiner sagt etwas. Sie schauen ihn an, nur sein Mädchen schaut weg. Er steht tapfer vor der Klasse, erklärt, was ihm geschehen ist und fragt die Schüler, ob sie seine Insel sein wollen. Nach einiger Zeit steht ein Schüler auf. Ein zweiter, ein dritter folgen und dann stehen sie alle da. Für ihn!
(Es war so ergreifend, mir kamen die Tränen.)
Paul hat aber auch ein eigenes Schicksal. Seine junge Frau hat er als Balletttänzerin kennengelernt und sich in das Mädchen verliebt, das so viele Facetten hat, die sie für ihn sehr liebenswert machen. Nach einem Autounfall zerplatzt ihr Traum, eine Primaballerina zu werden. Sie hat ihr Baby verloren und kann keine Kinder mehr bekommen. Sie sitzt im Rollstuhl und gibt sich auf. Paul geht mit ihr zu verschiedenen Ärzten und sie macht das geduldig, aber gleichgültig mit. Zum Training in der Rehaklinik lässt sie sich hinfahren, bricht aber jede Therapiestunde ab, wenn sie sie überhaupt beginnt. Dann sitzt sie depressiv irgendwo rum. Paul versucht es immer wieder, zu ihr vorzudringen. Sie nimmt ihn wahr und weist ihn ab.
Er, der Therapeut, der mit Käthe anderen Menschen ins Leben zurück hilft, sie zu einem ersten Lachen bringt, ihnen die Liebe zeigt, sie auf den ersten und zweiten Schritt in ihr neues, anderes Leben begleitet, er kann seiner eigenen Frau nicht helfen.
Eigentlich ist es das, was mich in diesem Film so sehr bewegte und was mich dazu anregte, genau darüber zu schreiben.
Paul liebt seine Frau so sehr, dass er ihr zwar immer wieder seine Liebe zeigt, ihr auf jede Weise helfen will, wieder laufen zu lernen, aber er nimmt auch Rücksicht auf sie. Er zwingt sie nicht. Würde er zu hart mit ihr umgehen, würde er sie verlieren. Er hat unendliches Verständnis für ihr so sehr verändertes Leben.
Natürlich hat er das. Es ist ja sein Beruf, Zugang zu Menschen zu finden, die sich das Leben nach den verschiedensten Schicksalsschlägen nicht mehr zutrauen. Allein oder mit Käthe bringt er dafür enorm viel Geduld auf. Sacht begleitet er sie auf ihrem Weg ins Leben zurück. Er kennt die Tücken dieser Wege, die Schritte rückwärts bei Enttäuschungen. Er macht den Menschen Mut!
Bei seiner Frau kann er es nicht.
Hier hilft ein gut aussehender Mann, der als neuer Tierarzt in die Praxis kommt, die sich auch dort befindet. Er ist kein Therapeut, aber ist mit einem Bruder aufgewachsen, der seit seiner Geburt im Rollstuhl sitzt. Das hat ihn stark werden lassen. Er geht einfach auf die junge Frau im Rollstuhl zu und sagt ihr krasse Sachen, die sie empören.
Immerhin, sie zeigt eine Regung, eine Erregung, Wut, Ablehnung.
Er schleppt sie zu einem Arzt, den er kennt und der einem immer die Wahrheit sagt. Sie will nicht. Paul zweifelt. Wir waren doch schon bei allen Ärzten. Er mag ihn nicht. Vielleicht ist er auch ein bisschen eifersüchtig. Sie mag ihn auch nicht. Aber dann sagt Paul, was kannst du verlieren. Und es kommt, wie es kommen muss. Was sie sich noch nicht eingestanden hat, weil es ihr kein Arzt so deutlich gesagt hat, dieser Arzt sagt es: Sie können Ihren Traum, eine Primaballerina zu werden, vergessen.
Es ist für sie ein tiefer Absturz, das gesagt zu bekommen, was sie schon immer ahnte, aber tief in ihrem Inneren vergraben hatte und es niemals herauslassen wollte.
Aber der Arzt sagt ihr noch etwas ganz deutlich. Ich sehe keinen Grund dafür, dass sie nicht wieder laufen können. Aber mit den paar Stunden Training in der Woche schaffen Sie das nie.
Wütend lässt sie sich nach Hause fahren.
Und noch mehr versucht der Tierarzt. Er weiß, dass sie eine wunderbare Tänzerin war und nimmt Kontakt mit einer Frau auf, die taub ist, aber gern tanzen lernen möchte. Er zeigt der Frau im Rollstuhl ein Video, auf dem diese Frau sie darum bittet und ihr mit Zeichensprache und Untertiteln erklärt, sie würde die Musik spüren.
Entsetzt, erschrocken und voller Angst, dass ihre innersten Sehnsüchte von völlig Fremden so erkannt und an das Tageslicht geholt wurden, fängt sie an, heftig zu schluchzen, zu weinen, schrecklich zu heulen. Der Tierarzt hat mit seiner direkten Art den Zugang zu ihrem Innersten gefunden, den ihr Ehemann trotz seiner beruflichen Erfahrung – oder wegen ihr – nicht finden konnte. Hilflos scheinend schaut Paul zu, wie der Tierarzt seine verzweifelt weinende Frau in dem Arm nimmt. Er weiß und er erkennt es schweigend an, dass dieser Mann das erreicht hat, was er wegen seiner Liebe zu ihr nicht konnte, sie wirklich aufzurütteln für den ersten „Schritt“ zurück ins Leben.
Mich hat dieser Film wegen seines sanften Umgangs mit Menschen beeindruckt, die aus den verschiedensten Gründen einen anderen Weg in ihrem Leben suchen müssen, einschließlich des Therapeuten Paul, der davon auch nicht verschont bleibt.
Allerdings geht es hier um sichtbare Einschränkungen, die zu Depressionen führen.
Über Hirntumorbetroffene gibt es Filme, die in den Tod begleiten.
Gibt es auch Filme über das lange Leben mit nicht sichtbaren Einschränkungen der Lebensqualität, die für andere unverständlich sind?
KaSy