HirnTumor-Forum

Autor Thema: Krebsinformationstag am 23.10.2021 in München (mit Videos noch bis 20.11.2021)  (Gelesen 7097 mal)

Offline KaSy

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Liebe Leute,
Ich habe leider erst heute erfahren, dass wie im letzten Jahr in München ein Krebsinformationstag stattfindet, deren Vorträge und Gespräche alle per Video aufgezeichnet werden und vom 23.10.- 20.11.2021 online zur Verfügung stehen.

Unter  https://krebsinfotag-muenchen.de kann man bereits jetzt das Programm und alles sehen sowie sich kostenlos anmelden, wofür es keine Zeitbegrenzung gibt. Man erhält umgehend eine E-Mail mit dem Passwort und sämtlichen Informationen.

Schaut mal rein!

Ich habe die Inhalte der folgenden Expertengespräche für Euch aufgeschrieben. Durch die Mitwirkung von Patienten und ihren Erfahrungen sind viele sehr interessant.
Themen
1. Hirntumor
2. Immunonkologie
3. Psychosoziale Begleitung in der Nachsorge
4. Fatigue
5. Diagnose Krebs – Welche Rolle spielt die Pathologie
6. Arzt-Patientengespräch
7. Palliativ Versorgung und Hospizarbeit
8. Risikoabwägung bei der Behandlung von fortgeschrittenen Tumoren
9. Komplementäre Therapien
10. Cancer-Survivorship = „Nachsorge für Menschen mit und nach Krebs
11. Qualitätsgesicherte Information für Betroffene (u.a. Mythen über Krebs-Diäten)
12. Kinderwunsch (Fertilitätsprotektion)
13. Seltene Tumore (u.a.Hirntumore, Tumorkonferenz, Immuntherapie)


Abkürzungen:
LMU: Ludwig-Maximilians-Universität München
TUM: Technische Universität München
CCCM: Cancer Comprehensive Center München

Anmerkung:
Die Veranstaltung fand in München statt, sie wurde von Bayerischen Vereinen organisiert und von vielen Sponsoren finanziell getragen. Hier soll keinesfalls dafür geworben werden, dass man als Hirntumorpatient ausschließlich nach München gehen soll.
Es gibt viele Zentren, in denen die Behandlung seltener Tumorerkrankungen möglich ist. Bei der Wahl der Klinik sollte man darauf achten, dass regelmäßig eine Tumorkonferenz tagt, die eine interdisziplinäre Beratung über jeden einzelnen Patienten ermöglicht.

Eure KaSy
« Letzte Änderung: 20. November 2021, 01:15:02 von KaSy »
Wenn man schon im Müllkasten landet, sollte man schauen, ob er bunt angemalt ist.

Der Hirntumor hat einen geänderten und deswegen nicht weniger wertvollen Menschen aus uns gemacht!

Offline KaSy

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Ich habe mir das Video der "Expertengespräche - Aktuelle Möglichkeiten der Behandlung" mit dem Thema „Hirntumor angesehen, das bis zum 30.11.2021 online verfügbar ist.

Die Vorträge werden von den folgenden Experten gehalten:
Prof. Dr. Niklas Thon (Neurochirurg)
Prof. Dr. Maximilian Niyazi (Strahlentherapeut)
PD Dr. Friederike Schmidt-Graf (Onkologin)
Melanie Staege (DHH e.V. )

Ich werde dieses Gespräch hier nicht beschreiben, da ich kaum Neues gehört habe.
Auf Meningeome wird nicht eingegangen.
Bei allen Vorträgen werden begleitend viele "Folien" gezeigt, die z.T. einen inhaltlichen Überblick geben, aber überwiegend "überladen" mit sehr spezifischen Fachbegriffen sind, letzteres trifft auch für die Vorträge zu.
Generell wird von den Ärzten, die alle in München tätig sind, gesagt, dass es in Deutschland eine sehr gute Versorgungsdichte für Hirntumorpatienten gibt. Alle Kliniken, in denen Hirntumoren erstbehandelt werden, sind von der Entfernung her gut erreichbar. Es wird nicht empfohlen, sich unbedingt in hochspezialisierten Zentren erstbehandeln zu lassen, da es eine sehr gute Vernetzung und Zusammenarbeit auch mit den "vermeintlich kleineren Kliniken" gibt.
Nach der Diagnose eines Hirntumors durch eine MRT ist der erste Ansprechpartner der Neurochirurg.
Da an der Behandlung mehrere Fachdisziplinen beteiligt sind, sollte einer der Fachärzte die Koordination übernehmen, dabei wurde auch darauf hingewiesen, dass der Hausarzt Rezepte und Überweisungen ausstellen kann.
Hervorgehoben wird, dass eine frühzeitige palliative Begleitung empfehlenswert ist sowie dass sich Betroffene und Angehörige psychoonkologisch helfen lassen sollten.
(Vermisst habe ich an dieser Stelle, dass es nicht leicht ist, überhaupt eine psychologische Betreuung irgendeiner Art zu finden sowie dass die Onkologie nach wie vor nur eine Zusatzausbildung für studierte Psychotherapeuten ist.)

KaSy
« Letzte Änderung: 23. Oktober 2021, 12:15:07 von KaSy »
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Im Video der "Expertengespräche - Aktuelle Möglichkeiten der Behandlung" mit dem Thema Immunonkologie unterhalten sich:   
Prof. Dr. Lucie Heinzerling
Prof. Dr. Angela Krackhardt
Prof. Dr. Marion Subklewe
Dr. Sarah Zierold

Dieses Gespräch empfand ich als hochinteressant, da verschiedene neue Immuntherapien diskutiert und beschrieben werden. Optimistisch werden anfängliche Erfahrungen mit den Möglichkeiten, der Wirksamkeit und den verschiedensten Nebenwirkungen und deren Behandlungsmöglichkeiten besprochen.
Auch Hirntumorpatienten drängen zum Teil nach mehr Forschung auf diesem Gebiet. In diesem Video wird auch die Frage beantwortet, warum es bisher für alle „soliden Tumoren“ noch keine erfolgversprechenden Immuntherapien gibt.
Leider hilft das den derzeit erkrankten Hirntumor-Patienten jetzt nicht. Aber wenn die heutzutage angewandten Therapien ein Leben mit einer guten Lebensqualität ermöglichen, könnte ein Warten mit dem Blick auf diese Zukunft auch uns ein wenig optimistisch stimmen.

Schaut Euch dieses Video unbedingt an!
Es ist nur bis zum 20.11.2021 online verfügbar.

KaSy
« Letzte Änderung: 23. Oktober 2021, 13:43:22 von KaSy »
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Im Video der "Expertengespräche - Psycho-soziale Aspekte" mit dem Thema Psychosoziale Begleitung in der Nachsorge unterhalten sich:
Heide Perzelmaier (Krebsberatung der Bayerischen Krebsgesellschaft)
Anja Malanowski (Psychoonkologin)
Meinhardt Mauerer (Patient)

Das Gespräch wurde überwiegend von Heide Perzlmaier geleitet, die dabei den von ihr seit 13 Jahren durch und nach drei Krankheitsphasen begleiteten Patienten Meinhardt Maurer immer wieder einbezog. Die Psychoonkologin Anja Malanowski ergänzte wichtige Fachinformationen.


Diese „Folie“ gibt einen Überblick über die Inhalte des Gesprächs:

Beratung und Begleitung in jeder Phase der Erkrankung für Menschen mit Krebs und ihre Angehörigen
- bei Verdacht und Diagnose
- während und nach der Therapie
- nach der Rehabilitation
- zurück ins „normale Leben“
- Krisen sind oft unerwartet
- wenn die Krankheit wieder auftritt
- mit den Veränderungen umgehen
- Krankheitsverarbeitung und Zukunftsperspektiven entwickeln
- Hilfe bei sozialrechtlichen Fragen, Krisen und Überlastung
- Selbsthilfe, Kurse, Gruppe


Für mich waren einige Inhalte besonders interessant:

Es besteht bereits beim Verdacht einer Krebserkrankung die Möglichkeit, sich in einer ambulanten Krebsberatung oder von klinischen Psychoonkologen psychosozial / psychoonkologisch beraten zu lassen.

Zur Verfügung stehen dafür die ambulante Krebsberatung (hier der Bayerischen Krebsgesellschaft), Psychoonkologen in der Klinik und niedergelassene Psychoonkologen.

Ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis kann psychoonkologisch hilfreich sein.

Die psychoonkologische Begleitung betrifft nicht ausschließlich den Umgang mit der Erkrankung, sondern das gesamte sich verändernde Leben und verdient dadurch zu Recht die Bezeichnung „psychosozial“.
Es werden Anregungen gegeben, damit der Patient seine eigenen neuen Wege finden und gehen kann, wenn die bisherigen nicht mehr möglich sind.
Zusätzlich werden ihm Möglichkeiten aufgezeigt, die er noch nicht kannte und die für ihn interessant sein könnten. Das können die Teilnahme an Selbsthilfegruppen, Gruppen oder Kursen sein, in denen sich der Patient aussprechen, zuhören, aktiv sein, sich entspannen oder sich selbst (z.B. künstlerisch) ausdrücken kann.
Für die sozialrechtliche Sicherheit gibt es Unterstützung beim Finden der Wege, bei welchen Stellen welche Anträge zu stellen sind.

Betont wurde ausdrücklich, dass das alles auch bereits vom Verdacht an für die Angehörigen, Kinder, besorgte Freunde, Bekannte, Kollegen gilt.

KaSy
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Im Video der "Expertengespräche - Aktuelle Empfehlungen" mit dem Thema Fatigue unterhalten sich:
Dr. Bernadette Fittkau-Tönnesmann (Ärztin und Psychoonkologin)
Silke Zukunft (Sportwissenschaftlerin /Sportpsychologin)
Ivy Goicochea (Patientin)

Nach der Vorstellung der Teilnehmerinnen spricht die Ärztin über die leider nicht anwesende Frau Dr. Fischer, die die Grundlagen dafür gelegt hat, dass es in Bayern flächendeckend Fatigue-Sprechstunden gibt. Frau Dr. Fischer befasst sich seit mehreren Jahren besonders intensiv mit der bisher nicht als Krankheit anerkannten Fatigue und leitet ein Institut zu deren Erforschung.

Nun übernimmt die seit 2015 an Krebs erkrankte Patientin recht aktiv das Gespräch, indem sie sich zunächst sehr dankbar äußert, dass ihr diese Hilfe in den Fatigue-Sprechstunden „das Leben gerettet“ habe, nicht nur, weil ihr geholfen wurde, sondern vor allem dadurch, dass das, was sie seit Jahren nach der Beendigung der Therapien nicht einordnen konnte, endlich mit der „Diagnose“ einen Namen bekam.
Sie schildert ausführlich, wie sie diese ihr unerklärliche Erschöpfung, Müdigkeit, Schlappheit erlebte und darunter litt. Sie konnte ihrem Beruf nicht mehr nachgehen, sie konnte mit ihren Kindern nicht mehr so spielen wie früher, sie war mitunter zu schwach zum Zähneputzen, nach dem Aufstehen am Morgen war sie völlig erschöpft.
Bei den Nachsorgesprechstunden sagte sie es stets den Ärzten und diese fanden es normal, aber für sie war es nicht so. „Ich konnte nicht normal funktionieren.“

Die Ärztin bestätigt dieses Erleben der Fatigue. Während der Therapien finden Patienten und Ärzte die Müdigkeit normal, sie gehört dazu, aber wenn das lange nachwirkt, wird es von den Ärzten noch zu oft vernachlässigt. Die Fatigue ist schlecht diagnostizierbar, man muss eine ausführliche Anamnese durchführen, um die Qualität der Müdigkeit herauszufinden.
Woher die Fatigue kommt und wen sie nach der Krebsbehandlung betreffen könnte, weiß man nicht.
Aber davon ausgehend, dass Fatigue die körperliche Leistungsfähigkeit zuerst stark beeinträchtigt und die geistige und seelische / psychische Überforderung mit sich bringt, lässt sich eine zielgerichtete Hilfe entwickeln, deren Ausgangspunkt „Bewegung“ ist.
Damit ist kein Sport in dem Sinn gemeint, dass man sich aktivieren soll.


Im Gespräch der drei Frauen wird diese „Bewegung“ konkreter beschrieben und später auch gemeinsam durchgeführt:

Es geht darum, dass man vor einer Bewegung in sich geht, um zu spüren, was man jetzt gerade leisten kann. Das können „Energiepunkte von 0 bis 10“ sein, in die man sich einordnet und das Besinnen darauf, wie man sich gerade fühlt, z.B. aktivbereit, müde, traurig usw. Für diese Gefühle kann man sich Smileys vorstellen.
Diesem selbst erkannten Anspruch passt man die Bewegung an. Das kann eine Zeitdauer von einer Minute, von 3 Minuten oder 10 Minuten sein. Auch das Maß der „Aktivität“ passt man an, indem man mit ganz leichten Bewegungen beginnt*.
Dann spürt man nach, wie es einem nach dieser Bewegung geht (Energiepunkte, Gefühle).
- Fühlt man sich gut, dann geht vielleicht noch mehr.
- Fühlt man sich zu angestrengt, war es zu viel.
- War es aber gerade genug, dann hört man auf, weil man seine momentane Grenze erreicht und - vor allem - sie erkannt hat.
Diese Nachbesinnung nach jeder Bewegung hilft, das eigene Körpergefühl zu spüren und dadurch zu erkennen wo die eigenen Grenzen sind.

*Vorgeführt werden mit einer Anleitung der Sportwissenschaftlerin:
- Besinnung auf sich selbst (mit geschlossenen Augen oder Konzentration auf einen Punkt)
- beide Arme vor sich waagerecht anheben und nach kurzer Zeit herunterlassen
- Nachbesinnung (Energiepunkte, Gefühle → Aufhören oder weitermachen?)
- im Sitzen die Schultern schütteln und wieder aufhören
- Nachbesinnung (Energiepunkte, Gefühle → Aufhören oder weitermachen?)
- im Sitzen ein Schulterblatt drehen und wieder aufhören
- Nachbesinnung (Energiepunkte, Gefühle → Aufhören oder weitermachen?)
- im Sitzen das andere Schulterblatt drehen und wieder aufhören
- Nachbesinnung (Energiepunkte, Gefühle → Aufhören oder weitermachen?)
- im Sitzen beide Schulterblätter drehen und wieder aufhören
- Nachbesinnung (Energiepunkte, Gefühle → Aufhören oder weitermachen?)
- Es reicht jetzt vielleicht schon.

Die erspürten und erlebten Grenzen soll man akzeptieren und sich nicht selbst unter Druck setzen. Man soll nicht zu hart mit sich sein und sich auch nicht verletzt fühlen, wenn andere „hart“ zu einem sind. Akzeptanz bedeutet auch, dass man sich weder mit anderen vergleichen soll noch mit seiner eigenen früheren Leistungsfähigkeit. Was man vor der Erkrankung an einem Vormittag geschafft hat, kann man eben jetzt auch in drei Tagen nicht schaffen.
Man kann z.B. manchmal 10 Minuten schnell zu Fuß gehen. In der Nachbesinnung merkt man, ob das zu viel war oder ob man seine Grenze erreicht hat und eine Pause einlegt oder dass man merkt, dass noch mehr geht und die Bewegung fortsetzt.
(Das wäre ein Beispiel für die Alltagstätigkeiten, die bei jedem andere sind.)


Die Patientin hebt die Wichtigkeit hervor, dass man auch den „Kopf abschalten“ muss. Ihr gelingt das mit Bewegung, Laufen, aber auch Entspannung wie z.B. Qi Gong.

Die Sportpsychologin ergänzt Atemtechniken, Yoga und spricht von den „3 Affen“, die laut der Buddhistischen Lehre „im Kopf herumspringen“ und die man beruhigen muss.

Die Ärztin erklärt, dass die geistige Aktivität sehr viel Kraft kosten kann, besonders, wenn einen „nervende“ Gedanken belasten. Dagegen können Bewegung und Entspannung helfen. Aber auch gute und sinnvolle geistige Aktivitäten, die man gern macht und die einem gut tun, können beruhigend wirken. Jeder muss herausfinden, was zu einem passt.

Das bestätigt die Patientin, die betont, dass jeder Mensch individuell ist und unter den Angeboten selbst finden muss, was ihm in seiner Fatigue hilft sowie, dass es eine Entwicklung geben könnte.

Um einen Schlusssatz gebeten, sagt die Sportwissenschaftlerin: „Bewegen Sie sich.“

KaSy
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Offline KaSy

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Im Video des Expertengesprächs „Versorgung / Kommunikation“ mit dem Thema Diagnose Krebs – Welche Rolle spielt die Pathologie sprechen zwei Ärzte:

Prof. Dr. Frederick Klauschen (Direktor des Pathologischen Instituts der LMU München)
Prof. Dr. Wilko Weichert (Direktor des Pathologischen Instituts der TU München)

Prof. Dr. Weichert hält den längeren ersten Teil des Vortrags (und verwendet dabei viele „Folien“).

Der Begriff Pathologie stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet wörtlich (er zitiert aus Wikipedia:) „Die Lehre von den Leiden“.
Sie ist die Lehre von den abnormalen und krankhaften Vorgängen und Zuständen im Körper und deren Ursachen.

Die gesamte Krebsbehandlung beruht auf der pathologischen Diagnose.
Die Pathologie ist das Bindeglied zwischen den diagnostischen Untersuchungen („Klinik“ = Symptomen des Patienten, bildgebende Verfahren = CT, MRT, …, Laborergebnisse) und der Behandlung des Patienten (Operation, Bestrahlung, Medikamente).
Der Pathologe ist der „Lotse der Therapie“.
Die klinische Pathologie führt die integrierte ganzheitliche Diagnostik zu Personalisierung / Individualisierung der Behandlung durch, sie bezieht die Vorgeschichte des Patienten ein und stellt die Ausprägung der Krankheit fest.

Die Pathologie bedient sich dabei mehrerer „Werkzeuge“:

1. Histologie:

Die Untersuchung des Gewebes ist die Basis für die Feststellung der Krankheit. Man erkennt dabei die Art der Krebserkrankung und ihre Ausbreitung.

Das zu untersuchende Gewebe wird entweder mit einer Biopsie mit einer kleinen Nadel aus dem Tumor entnommen oder es stammt aus dem mit der „modernen onkologischen Chirurgie“ (= Operation) entfernten Tumor.

Das Tumorgewebe mit seinen Rändern wird im pathologischen Labor in mehrere Präparate geteilt, indem es zunächst makroskopisch zugeschnitten wird. Die einzelnen Teile werden fixiert (in kleinen Kästchen), entwässert, in Paraffin eingebettet, dünn zugeschnitten und mit geeigneten Materialien gefärbt. Dann werden die Schnittpräparate unter dem Mikroskop untersucht und auch auf den Computer übertragen, wo sie größer und von mehreren Pathologen zu sehen sind und gemeinsam ausgewertet werden können.

Es folgen mehrere Fotos, die diesen Vorgang für einen Prostatatumor bebildern.
;) Der Pathologe sagte bei jedem Foto voller Freude, dass „man das hier sehr schön sehen kann“ ... ich nicht wirklich.)

Interessant war für mich, dass die Ränder des Tumors eine besondere Rolle spielen. Wenn in ihnen Tumorzellen enthalten sind, dann bedeutet das, dass sich auch im Körper noch Tumorzellen befinden. Sind in den Rändern keine Tumorzellen zu finden, dann ist der Tumor vollständig entfernt worden. Das ist für die weitere Therapie sehr wichtig.

2. Immunhistochemie

Das ist eine Erweiterung der Histologie, um den Tumor genauer zu charakterisieren.
Es wird ein Schnittpräparat mit Antikörpern versehen. Antikörper erkennen Krebsstrukturen und können sie von normalen Zellen unterscheiden. Der Pathologe kann daran die Zellstrukturen sowie die Größe und die Ausbreitung des Tumors erkennen, was für die Therapie bedeutsam ist.

Die Graduierung ist die Bestimmung des Wachstumsmusters eines Tumors mit dem Ziel, die „Bösartigkeit“ abschätzen zu können.
Eine Abbildung zeigt untereinander die Unterschiede zwischen den Zellstrukturen, die ineinander übergehen. Sie sind dort von Grad 1 (normale Zellen) bis Grad 5 ( völlig verändertes Gewebe ohne klar ersichtliche Zellen) nummeriert.
Möglich sind mehrere Zellstrukturen und nicht klar voneinander trennbare Übergangs-Grade in einem Tumor.

Mit einer Tumorformel werden die einzelnen Merkmale / Marker des Tumors beschrieben, mit denen der behandelnde Arzt dann arbeiten kann.
(Auf der Folie standen die Abkürzungen pT2, pN1, G2, Ro, L1, VO, Pn1. Der Pathologe hat ihre Bedeutung erklärt, aber da sie mir nicht bekannt sind, ist es möglich, dass sie für sein Beispiel „Prostatatumor“ zutreffen.)

Während einer Operation kann eine Schnellschnittdiagnostik erforderlich sein, damit der Chirurg rasch, meist innerhalb von 20 bis 30 Minuten, erfährt, ob z.B. das entfernte Tumormaterial gutartig ist oder ob er das umliegende Gewebe um den Tumor weiter entfernen sollte.
Der Patient befindet sich in der Narkose. Der Chirurg übergibt dem Pathologen das entnommene Tumorgewebe. Da die Paraffineinbettung zu lange dauert, wird das Präparat „gefroren“ und direkt gefärbt. Diesen Gefrierschnitt kann man unmittelbar unter dem Mikroskop anschauen. Die Qualität ist zwar nicht so gut wie bei der Paraffineinbettung, aber das geht sehr viel schneller.
Der Pathologe beschreibt an Fotos eines Eierstocktumors, dass sich darin verschiedene Zellen befinden, die ihren Ursprung in anderen Organen haben.

3. Molekulare Untersuchung

Mit modernen molekularen Methoden, die es seit wenigen Dekaden gibt und die erst in den letzten 10 Jahren „ richtig an Fahrt aufgenommen haben“, können die Pathologen zusätzlich zu den mikroskopischen Untersuchungen aus diesen Gewebsstückchen, die sie gewinnen, zum Beispiel Nukleinsäuren, aber auch Proteine und anderes extrahieren.
Heutzutage ist es aber vor allem die Desoxyribonukleinsäure (DNS = DNA), die Erbsubstanz des Körpers, die sie extrahieren, bevor sie diese Substanz dann charakterisieren. Sie führen also eine Sequenzierung der DNA durch, um die Veränderung der Erbsubstanz im Tumor festzustellen und werten diese Daten dann aus.

Das Ziel dieser „Präzisionsmedizin“ ist es, neben der histologischen Untersuchung des Tumorgewebes eine molekulare Charakterisierung vorzunehmen. Damit können sie vorhersagen, ob ein Medikament, von dem bekannt ist, dass es nur in einem biologischen Zustand, aber nicht in einem anderen biologischen Zustand wirksam ist, dem Patienten gegeben werden kann. Es geht also um, die Feststellung, welche Medikamente gegen den Tumor wirken und welche nicht.

Die Grundlage dafür ist die Charakterisierung unserer Erbsubstanz, der DNA. Sie befindet sich im Zellkern und ist aus Chromosomen aufgebaut, die eine Doppelhelix bilden.
Diagnostisch kann man diese Erbsubstanz nur nutzen, wenn man sie „ wie ein Buch lesen“ kann. Dieses „Lesen“ beruht auf Methoden, die der so genannten Sequenzierung der DNA zu Grunde liegen. Mit diesen Methoden können sie wirklich charakterisieren, wie die Folge der Nukleotide in der Doppelhelix ist. Die Nukleotide bilden die Grundlage der Erbsubstanz.
Damit können sie „etwas wie ein Buch“ aus der Erbsubstanz machen, in dem die Folge der Nukleotide mit den modernen Methoden gelesen werden kann.
Und dann verstehen die Pathologen, aus welchen Proteinen die DNA besteht.

Heutzutage schauen die Pathologen nicht mehr nur Einzel-Gene an, sondern die Sequenzierung der DNA wird als Hochdurchsatzgenomsequenzierung (oder NGS = Next Generation Sequenzierung) durchgeführt.
Dass die DNA-Struktur erkannt wurde, liegt erst wenige Jahre zurück und es ist nahezu unglaublich, dass sich die technischen Möglichkeiten schon so weit entwickelt haben, dass es heute bereits möglich ist, in den Pathologischen Instituten ein ganzes Genom eines Tumors innerhalb von zwei Tagen zu diagnostischen Zwecken zu charakterisieren.
Die Pathologen können dann alle möglichen Veränderungen der Erbsubstanz sehen.
Sie sehen Mutationen der Erbsubstanz, Verluste von Erbsubstanz, Deletionen der Erbsubstanz, Hinzugewinn an Teilen von Erbsubstanz, Amplifikationen und/oder Umlagerungen, Translokationen.
All diese Veränderungen können Tumoren charakterisieren.

Und manche dieser Veränderungen kann man auch adressieren.
In einer Abbildung des gesamten Menschen sind die jeweils möglichen Veränderungen der Erbsubstanz an den verschiedenen Organe vermerkt. Sie sind für jedes Organ spezifisch.
Man kann also feststellen, aus welchen Organen Tumorzellen stammen, wenn man diese Biomarker in der DNA der untersuchten Tumoren gefunden hat.

Die Genetik ist aber nur der erste Schritt.
Zum Beispiel werden bei Hirntumoren epigenetisch Methylierungen untersucht und auch Veränderungen auf der Oberfläche erkannt.
Der Pathologe beschreibt weitere Möglichkeiten hin zu einer viel individuelleren Charakterisierung der Tumoren und sagt dazu, dass es „ein bisschen Zukunftsmusik“ ist. Für die nächsten Jahre ist aber zu erwarten, dass es weitere diagnostische Methoden gibt, die die Krankheit näher beschreiben können.

Prof. Dr. Frederick Klauschen setzt den Vortrag mit einer Übersicht und Erklärungen fort:

Was die Zukunft noch bringt …

- Weitergehende molekulare Charakterisierung
- Computergestützte Interpretation
- Funktionalisierung der Diagnostik durch „persönliche“ Krebs-Avatare
- Organ-on-Chip
- Organoide (kombiniert mit Mausmodellen)
- Künstliche Intelligenz in der Diagnostik, die den Pathologen unterstützt, indem sie erkennt, wo welche Zellstrukturen sind, ihn aber nicht ersetzt

Die Synthese der Methoden der Präzisionsmedizin und der Verfahren der Fachdisziplinen „an einem Tisch“ ist das A und O für die optimale Patientenbehandlung.


Prof. Dr. Wilko Weichert verabschiedet sich mit dem Wunsch, auch Patienten mit am Tisch zu haben.

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Im Video des Expertengesprächs „Versorgung / Kommunikation“ mit dem Thema Arzt-Patientengespräch halten zwei Ärzte nacheinander Vorträge. Ihnen schließt sich ein Gespräch an.

PD Dr. Andreas Dinkel (Leitender Psychologe am Klinikum Rechts der Isar, Psycho-Onkologe)
Dr. Friederike Mumm (Hämato-Onkologin, Psycho-Onkologin, Palliativmedizinerin, Oberärztin und Leiterin der Psycho-Onkologie an der Medizinischen Klinik III und am CCCLMU)
Prof. Dr. Annika Herlemann (Oberärztin der Urologie an der LMU / Campus Großhadern, die jüngste Anwesende)
Edith Hersping (Patientin seit 20 Jahren und aktiv in der Krebsberatung, Älteste der Anwesenden)

PD Dr. Andreas Dinkel spricht über das in der Leitlinie Psycho-Onkologie enthaltene Thema „Arzt - Patienten - Kommunikation“ und nutzt dabei „Folien“:

Das Gespräch zwischen Arzt und Patient

Was wünschen sich Patienten?
- Offene und emotional unterstützende Kommunikation
- Umfassende Aufklärung
- Eindeutige, klare Aussagen
- Orientierung an dem subjektiven Bedarf an Informationen, nicht jeder möchte alles wissen
- Möglichkeit, Fragen zu stellen
- Möglichkeit, Gefühle zu zeigen, man darf emotional reagieren

Welche Kompetenzen benötigt der Arzt für die Umsetzung dieser Wünsche?
- „Kleine“ Zeichen im Gespräch sind wichtig
- Im Gespräch Ruhe ausstrahlen
- Die volle Aufmerksamkeit widmen
- Genug Zeit einplanen, je nach Bedarf z.B. 30 min oder auch nur 10 min
- Ausführlich alle Behandlungsmöglichkeiten erläutern

Die patientenzentrierte Kommunikation auf der Grundlage einer patientenzentrierten Haltung macht einen Unterschied für Patienten
- Besseres Behalten und Erinnern von Informationen
- Bessere psychische Befindlichkeit
- Weniger körperliche Anspannung
- Geringere innere Konflikte bei Behandlungsentscheidungen
- Bessere Mitarbeit bei therapeutischen Maßnahmen
- Höhere Lebensqualität

Eine Herausforderung für den Arzt / die Ärztin ist, dass zunehmend mehr Patienten eine Beteiligung an medizinischen Entscheidungen wünschen.
Die Spannbreite von „Ich als Patient bin entscheidend“ bis „Ich vertraue da ganz den Ärzten“ ist groß.
Die Präferenzen des einzelnen Patienten sollten erfragt werden, denn jeweils ein Drittel präferiert:
- Gemeinsame Entscheidung
- Vom Patienten geleitete Entscheidung
- Vom Arzt geleitete Entscheidung

Eine Herausforderung für den Arzt / die Ärztin ist die Pflicht zur Aufklärung der Patienten.
Die Spannbreite von „Ich möchte alles genau wissen“ bis „Ich möchte gar nichts wissen“ ist groß.
Die meisten Patienten wollen gut informiert werden, aber es gibt Unterschiede im Wunsch nach der Vollständigkeit und den Details.
Die Präferenzen des einzelnen Patienten sollten erfragt werden.


Dr. Friederike Mumm spricht in Ihrem Vortrag über das Arzt-Patienten-Gespräch und nutzt dabei „Folien“:

Wie gelingt ein gutes Gespräch? - Verstehen und verstanden werden

Nutzen Sie jedes Gespräch,
ob bei der Visite am Krankenbett oder in der Ambulanz
Vier Ohren hören mehr.
Es kann hilfreich sein, einen Angehörigen oder eine vertraute Person mit zum Gespräch zu nehmen. (Das war in der Corona-Zeit schwierig und teils von Nachteil.)
Die wichtigsten Fragen.
Stellen Sie vor dem Arztgespräch ihre Fragenliste zusammen. Setzen Sie die drei wichtigsten Fragen ganz nach oben.
Symptome benennen.
Geben Sie Symptomen einen Namen. Nehmen Sie sie nicht hin, u.a. auch Schmerzen. Wie stark sind Ihre Schmerzen z.B. anhand einer Skale von 1 bis 10. Bagatellisieren Sie nicht.
Sagen, was Ihnen wichtig ist.
Sie helfen Ihrem Arzt, wenn Sie vor jedem Termin und jeder Visite überlegen, was Sie wissen wollen - und was nicht. Er kann nur von Ihnen erfahren,was Sie von ihm erwarten, was Sie noch nicht wissen oder verstehen.
Verstehen, was geschieht.
Zu wissen, was gerade passiert und wie die nächsten Schritte aussehen, gibt Sicherheit und Orientierung. Fragen Sie nach, wenn Ihnen etwas unklar ist, sei es eine veränderte Medikamentengabe oder eine nicht angekündigte Untersuchung.
Das Gesagte notieren.
Schreiben Sie oder Ihre Begleitung im Gespräch das Wichtigste mit und bewahren Sie die Notizen auf, z.B. in einem Notizbuch. Sie sind wichtige Gedächtnisstützen.
Ordner anlegen.
Von Anfang an einen Ordner anlegen und alles abheften: Befunde (Bitten Sie stets um eine Kopie), Schriftverkehr, Rezepte, Medikamentenliste usw.
Sagen, was Ihnen wichtig ist, was Sie bewegt, was Sie sich wünschen.
Scheuen Sie sich nicht, auch Ängste und Sorgen offen anzusprechen. Geben Sie dem Arzt / Ärztin die Chance, gemeinsam mit Ihnen nach Lösungen bzw. Unterstützungsmöglichkeiten zu suchen.
Persönliches Netzwerk schaffen.
Suchen Sie sich Personen und Einrichtungen neben Ihrem Arzt / ihrer Ärztin, die mitdenken und Sie unterstützen - wenn möglich, von Anfang an, z.B.:
- Experten, Hausarzt, niedergelassener Onkologe, Facharzt, Psycho-Onkologe
- Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn, Kollegen
- Selbsthilfegruppen
Meine Lebensqualität.
- Körperliche Verfassung
- Funktion, Rolle, Kompetenzen
- Soziale Beziehungen
- Spiritualität und Religiosität
- Psychisches Befinden (z. B. Verunsicherung, Hilflosigkeit, Anspannung, Angst, Schock, Hoffnungslosigkeit, Trauer, Verleugnung, Aggression, Ungeduld, Depression, Isolation, Rückzug)

Die Rolle der Psychoonkologie
- Sie können das ärztliche Gespräch nicht ersetzen, sind ggf. eine gute Ergänzung
- Betroffene in der Informationsfindung unterstützen
- Raum geben zum Reflektieren, „Sortieren“
- Vorbereitung von Gesprächen
- Überlegungen zur Frage „Wo kann ich selber aktiv werden und was kann ich beitragen“
- Eigene Lebensziele, Wünsche und Vorstellungen mit und trotz der Erkrankung verwirklichen

Ausblick in die Lehre und Fort- und Weiterbildung
- Stärkung der kommunikativen Kompetenzen von Ärzten
- Kommunikationskurse für Ärzte (Train-the-Doctor)

Wichtig: Feedback von Betroffenen, Patientenvertreter/innen, Selbsthilfe → an den Arzt /die Ärztin


Prof. Dr. Annika Herlemann spricht aus der Praxis über Arztgespräche, die auch mal nicht ideal verlaufen.
Von einem niedergelassenen Arzt wurde ein recht junger 50-jähriger Patient in die Kinik überwiesen, der einen weit fortgeschrittenen Prostatakrebs hatte. Er hatte bereits Metastasen.
Sie hatte mit dem Kollegen telefoniert und dieser hatte ihr mitgeteilt, der Patient wisse über seine Krankheit Bescheid.
Sie begrüßte den Patienten in ihrer Sprechstunde und begann das Gespräch mit ihm, wobei sie davon ausging, dass er über seine Krebserkrankung aufgeklärt sei. Im Laufe des Gesprächs bemerkte sie bei ihren Erläuterungen zu den Therapien und Erfolgsaussichten, dass der Patient stiller wurde, er wurde blass, stockte und fragte, ob er denn sterben müsse. Jetzt wurde ihr bewusst, dass der Patient gar nicht wusste, welches Ausmaß sein Krebs bereits erreicht hatte.
Sie entschuldigte sich bei ihm und begann das Gespräch neu. Sie erklärte alles von Anfang an. Und dann fragte sie ihn, ob er möchte, dass das Gespräche heute weiter fortgesetzt wird oder ob er lieber später noch einmal herkommen würde. Er kam am nächsten Tag mit seiner Ehefrau und alles wurde gemeinsam weiter besprochen.
Für ihre weiteren Gespräche hat sich die Ärztin vorgenommen, das Gespräch mit der Frage zu beginnen, was der Patient bereits weiß und dann darauf einzusteigen.
Sie bittet die Anwesenden um ihre Meinung dazu.


Edith Hersping berichtet, dass sie seit 20 Jahren Krebspatientin ist und schon viele Jahre ehrenamtlich in einer Krebsberatung andere Betroffene berät und unterstützt und ihnen auch oft zuhört.
Sie ist überrascht, wie viel sich getan hat. Man kann heutzutage viele Bücher über Krebs lesen. Aber sie ist von Prof. Dr. Herlemann sehr beeindruckt, weil sie die Würde ihrer Patienten so sehr achtet. Sie sagt, Ältere* tun sich schwer damit, über die eigenen Befindlichkeiten zu reden. Und da ist es gut, vom Arzt „an die Hand genommen zu werden“. Es ist wichtig, dass Ärzte und Patienten achtsam miteinander umgehen, sich verständigen und bei Bedarf das Gespräch auch mal ändern.
Sie wurde nie von einem Arzt nach ihren Befindlichkeiten und ihrer Lebenssituation gefragt. Sie musste ihren Lehrerberuf aufgeben. Danach hat keiner gefragt.
Sie meint, dass man das, was sich hier in den Münchener Kliniken gut entwickelt hat, nicht auf kleinere Kliniken übertragen könne. Rund um München wäre noch viel zu tun.**
Für die Patienten sei es ganz wichtig, zu lernen, die eigene Kompetenz zu betonen und einzubringen. Immer wieder lobt sie sehr beeindruckt Prof. Dr. Herlemann.


Dr. Mumm ordnet diese Situation fachlich ein.
Ein Arzt-Patienten-Gespräch ist stets personenbezogen. Wie es verläuft, hängt vom Arzt und vom Patienten ab.** Die Angehörigen können / sollten einbezogen werden. Ein zweites Gespräch anzubieten, kann erforderlich, sinnvoll und hilfreich sein. Alle Gesprächspartner sollten „auf Augenhöhe“ miteinander sprechen.


PD Dr. Dinkel erklärt, dass man als Patient ein Gespräch mitgestalten kann (Edith Hersping wirft ein: „Man muss!“), indem er sagt, was ihm wichtig ist, was er hören möchte. Er sollte dem Arzt auch ein Feedback geben, er darf ihm sagen, dass das Gespräch gut oder nicht gut gelaufen ist.
Auf das Beispiel von Prof. Dr. Herlemann bezogen, fragt er, wieso der niedergelassene Arzt so etwas am Telefon sagt, also dass der Patient über seine Krankheit Bescheid wisse. Damit lässt er die Klinikärztin „auflaufen“. Hat er das beabsichtigt?


Dr. Mumm sagt dazu, dass es eine gegenseitige Schonhaltung gibt. Man möchte das lieber nicht zum Thema machen.


Edith Hersping erzählt aus ihrer Beratungsstelle.
Dort hört sie manchmal mit Erschrecken, dass Ärzte den Patienten sagen: „Sie sind austherapiert. Wir können nichts mehr für Sie tun.“ Dem kann man als älterer* Patient nichts entgegensetzen. Das ist ein Abbruch der Beziehungen zwischen den Ärzten und den Patienten. Sie sind dann orientierungslos, fragen sich, wie soll es weitergehen, was habe ich denn überhaupt noch für Möglichkeiten?
Gerade durch die Palliativmedizin gibt es viele andere Optionen. Es ist nicht alles hoffnungslos. Man lebt sicher nicht noch 20 Jahre, aber man darf darüber sprechen. Es darf auch vom Arzt ausgehen, dass das Leben durch den Krebs enden kann.
Sie selbst hat viermal diese Diagnose bekommen, aber danach ist man nicht unbedingt gesund. Die Möglichkeiten der palliativen Betreuung müssen angesprochen werden.


Prof. Dr. Herlemann berichtet von einem weiteren Beispiel eines Arztgesprächs, das eine Wendung nahm.
Es geht um eine 75-jährige Patientin, die ein fortgeschrittenes Tumorleiden, einen Blasenkrebs, hatte. Sie war vorerkrankt, ihr Herz war nicht mehr gut intakt, sie war schwach auf den Beinen.
In die Sprechstunde kam sie mit ihrem Ehemann und den zwei Töchtern. Die Ärztin begrüßte alle und dann übernahm der Ehemann sofort das Gespräch. „Wir wollen alles tun lassen, was möglich ist, damit sie weiter lebt.“ Auch die Töchter sagten es genauso. „Es soll alles getan werden.“ Eine Chemotherapie war bereits geplant, sie sollte zuerst erfolgen und danach die Operation. Der gesamte Weg durch die Therapien war durchgeplant worden. Während die Angehörigen ihre Vorhaben für die Ehefrau und Mutter deutlich und entschieden darlegten, schaute die Ärztin zur Patientin. Diese saß im Hintergrund und sagte gar nichts. Sie schüttelte immer mal kaum merklich den Kopf, schien immer kleiner zu werden. Die Ärztin bat die Angehörigen, kurz den Raum zu verlassen, damit sie mit der Patientin allein sprechen kann. Sie gingen hinaus.
Und dann fragte die Ärztin die Patientin, was sie möchte. Sie sagte: „Ich möchte, dass man nichts tut.“ Sie hatte sich zuvor nicht getraut, der Familie zu sagen, dass sie nichts will, keine Operation. Sie weiß, dass der Tumor inoperabel ist und sie ist zu schwach für diese Therapien. Aber die Familie liebt sie doch.
Es wurde dann die Psychoonkologie einbezogen, um zu helfen. Es fand ein gemeinsames Gespräch statt, das sehr hilfreich war. Die Angehörigen haben es irgendwann auch verstanden, dass die Patientin selbst für ihr Leben und für ihre Gesundheit zuständig ist. (Edith Herspring stimmt klar zu!) Die Patientin trifft die Entscheidung. Wir als Ärzte nicht und die Angehörigen auch nicht! Die Entscheidung trifft diese Patientin, nachdem man sie über alle möglichen Therapieoptionen detailliert aufgeklärt hat. Das muss man einfach mal so akzeptieren.


Edith Herspring freut sich über dieses wunderbare Beispiel, weil die Kompetenz der Patientin Vorrang hatte und nicht die der Familie. Gerade bei älteren Menschen muss man auch Kompromisse eingehen, das ist eine ganz schwierige Situation, auch für die Ärzte und für die Patientin.


PD Dr. Dinkel hält dem ein wenig entgegen, dass es auch ein „hehres Motiv“ ist, etwas für die Familie zu tun und „Das ist ja auch berechtigt“.
Wichtig ist aber, dass es auch transparent wird und „Das haben Sie geschafft, Frau Prof. Dr. Herlemann, als Sie die Patientin alleine gefragt haben und die Patientin das auch gesagt hat“. So konnte es in das Gespräch gebracht werden.
Die Patientin kann sich ja immer noch entscheiden. „Was will ich? Die eine Seite in mir will nicht so recht, aber die andere Seite sagt, ich mache es dann trotzdem.“
Das ist ja auch ein einfühlbares Motiv. Die Kunst ist es tatsächlich, zu erkennen, ob jemand in einer Situation dominiert wird, wenn mehrere Menschen zusammen kommen. Es ist eine schwierige Herausforderung, das zu erkennen.
Einerseits laden wir die Angehörigen ja in die Gespräche ein und sehen das gern. Das gehört ja dazu zu sagen: „Kommen Sie mit.“ Aber sie dann rauszuschicken, das fordert von der Ärztin / dem Arzt ja auch erstmal eine Entscheidung: „Ich würde gerne erst alleine mit der Patientin reden.“ Das zu tun, ist eine echte Entscheidung. Wo ist es angemessen? Es hilft allen weiter, wenn es gut gemacht ist.


Dr. Mumm ergänzt, dass es hilfreich ist, auch die Ängste der Angehörigen zu thematisieren, ihre Trauer, dass ein geliebtes Familienmitglied bald sterben wird. Dem bevorstehenden Tod eines nahen Verwandten muss man einen Raum geben. Das ist in der Psychoonkologie auch ein Thema.
Es gibt auch Situationen, dass die Meinungen der Angehörigen anders sind als die der Behandler. Dann sollte man sich zusammenfinden. Die Angehörigen sollen merken: „Ich kann es nicht aufhalten. Das Wichtigste ist jetzt, da zu sein und die Tage, die uns noch bleiben, gemeinsam zu verbringen - im Sinne des Betroffenen.“
Aber das sind komplexe Gesprächssituationen.


Edith Herspring setzt hinzu, dass es ein gemeinsamer Prozess bleibt. Der Patient ist nicht allein, es muss eine Kommunikation, eine Verständigung und Respekt von allen Seiten geben.


PD Dr. Dinkel hebt die innere Haltung und die professionelle Rolle als Arzt hervor.


Dr. Mumm sagt, das Thema wäre von allen Seiten gut „beleuchtet“ worden und das wäre ein guter Abschluss.


KaSy

* Ich meine, dass die Äußerungen über „ältere“ Patienten auf alle Altersgruppen zutreffen.
** Der Krebsinformationstag war eine Veranstaltung einiger Bayerischen Krebs-Vereine und fand in München statt. Die Aussage, dass sich nur die Münchener Kliniken im Unterschied zu ganz Bayern in der Kommunikation mit den Patienten besonders gut entwickelt haben, sehe ich anders. In jeder Klinik in Deutschland (und auch in Bayern) gibt es Ärzte, die mit den Patienten und deren Angehörigen Gespräche in diesem Sinn führen. Dass es diesbezüglich noch viel zu tun gibt, ist unbestritten.
Wenn man schon im Müllkasten landet, sollte man schauen, ob er bunt angemalt ist.

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Im Video des Expertengesprächs „Aktuelle Empfehlungen“ mit dem Thema Palliativ Versorgung und Hospizarbeit sprechen die folgenden drei Personen:

Prof. Dr. Johanna Anneser (Funktionsbereich Palliativmedizin, Rechts der Isar der TU München)
Prof. Dr. Claudia Bausewein (Direktorin der Klinik für Palliativmedizin der LMU)
Sepp Raischl (Vorstandsmitglied im Christophorus Hospiz Verein, Theologe, Sozialarbeiter)


Frau Prof. Dr. Claudia Bausewein hält den ersten Vortrag und verwendet dabei unterstützend mehrere „Folien“.

Sie schildert zunächst die Situation der Patient/innen.

- Diese haben viele Symptome gleichzeitig, das sind Schmerzen, Atemnot, Traurigkeit, Verstimmtheit und viele weiter.
- Sie leiden unter einer hohen psychischen und sozialen Belastung, die sich auch auf die Familie überträgt.
- Bei ihnen herrscht Unsicherheit über den Krankheitsverlauf, wie geht es weiter, was bringt die Zukunft.
- Sie haben einen hohen Informationsbedarf über die eigene Situation, welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es, wo komme ich an ein ambulantes Palliativteam, wer kann mich im Krankenhaus unterstützen, wie kann ein ehrenamtlicher Hospiz-Mitarbeiter zu mir nach Hause kommen.
- Sie haben Fragen zu den Entscheidungen an ihrem Lebensende, welche Behandlungen sind noch möglich, wo können diese erfolgen, kann ich zu Hause bleiben und wie lange ist das möglich, muss ich lange im Krankenhaus bleiben, wo kann ich betreut werden und wo möchte ich sterben.
- Hinzu kommen die Ängste und Sorgen der Angehörigen, die mit einer Doppelrolle belastet sind, denn sie sorgen sich um ihr Familienmitglied und sind die Versorgenden im Betreuungsnetz.


Sie spricht darüber, was den Menschen am Lebensende wichtig ist, was, was sie sich wünschen:

- Sehr wichtig ist ihnen eine gute Schmerz- und Symptomkontrolle.
- Sie benötigen Unterstützung und Entlastung ihrer Familie.
- Sie erfragen Prioritäten und möchten, dass diese berücksichtigt werden.
- Sie möchten inneren Frieden und einen Abschluss finden, dazu möchten sie Unterstützung und Begleiter/innen haben, die Zeit für sie aufbringen.
- Sie wünschen eine gut koordinierte und integrierte Pflege, Kontinuierlichkeit im Sinne einer möglichst geringen Anzahl von Diensten sowie dass ihnen die Professionellen und weiteren Ansprechpartner bekannt sind.


Die Aufgaben und Inhalte der Palliativmedizin sind von der WHO im Jahr 2002 festgelegt worden:

- Sie soll sich Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen widmen und das bereits in der frühen Krankheitsphase beginnen.
- Die Familien und das soziale Umfeld sollen mitbetreut werden.
- Sie soll vorbeugend tätig werden, um Leiden zu lindern.
- Sie soll sich der Linderung von Schmerzen und den physischen, psycho-sozialen und/oder spirituellen Problemen widmen.
- Insgesamt geht es um die Lebensqualität, also nicht um die Dauer des Lebens, sondern um die Qualität des verbleibenden Lebens.


Was bietet die Palliativmedizin an?

Symptomkontrolle
- vorausschauende Einschätzung und Beurteilung
- adäquate medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapie

Kommunikation
- ehrliche und offene Kommunikation, auch über Sterben und Tod
- Information über den Krankheitsverlauf und die Therapieoptionen
- Wünsche des Patienten

Psycho-soziale und spirituelle Begleitung
- Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung
- Organisation der Versorgung (auch Hospiz)
- existenzielle und spirituelle Fragen

Advance Care Planing = Vorausschauende Versorgungsplanung
- Klärung der Therapieziele
- bevorzugter Betreuungs- und Sterbeort
- Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

Unterstützung der Angehörigen
- Einschätzung ihrer Belastungen
- Unterstützungsangebote
- Informationen

Insgesamt geht es bei der Palliativmedizin um die ganzheitliche Behandlung und Betreuung mit der Orientierung auf die die physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse in der letzten Lebensphase einer schweren Krankheit. (engl. „Total pain“)


Die Ziele der Palliativversorgung sind:

- ein möglichst beschwerdearmes Leben mit einer guten Lebensqualität
- ein möglichst frühzeitiger Beginn der Betreuung, nicht erst am Lebensende
- möglichst lange zu Hause zu sein
- Unterstützung der Angehörigen in dieser herausfordernden Lebensphase, damit sie über den Tod hinaus mit dieser Situation leben können


Es gibt die folgenden Versorgungsstrukturen

Ambulante Hospizdienste
- Das Ehrenamt spielt eine wichtige Rolle in der Begleitung der Patienten in enger Zusammenarbeit mit spezialisierten Diensten und Einrichtungen.
- Psycho-soziale und/oder palliativpflegerische Beratung

Stationäre Hospize
- wenn die Betreuung rund um die Uhr und die Versorgung zu Hause oder in einem Heim nicht möglich ist

Spezielle ambulante Palliativbetreuung (SAPV)
- Betreuung zu Hause und im Heim
- Verhinderung von Notarzteinsätzen und Krankenhauseinweisungen

Palliativdienst im Krankenhaus
- Mitbetreuung auf allen Stationen eines Krankenhauses (Unterstützung durch Primärbetreuer/innen)
- Frühe Einbindung, auch parallel zur krankheitsorientierten Behandlung

Palliativstation
- Teil eines Krankenhauses
- Für Patienten mit komplexen Symptomen und Situationen
- Etwa 50 % der Patienten werden entlassen. (Es ist also keine „Endstation“.)


Zusammenfassend sagt Frau Prof. Dr. Claudia Bausewein hervor, dass es auf Seiten der Krebspatienten solche Bedenken gibt:
- „Palliativmedizin? … Ist es jetzt schon so weit … ?“
- „Palliativmedizin? … Das heißt, dass mich die Ärzte aufgegeben haben … ?“
- „Palliativmedizin? … Heißt das, dass ich keine Operation, keine Chemotherapie mehr bekommen werde?“
Ihr Vortrag und dieses Gespräch sollen diese Bedenken zerstreuen und die Patienten und ihre Angehörigen ermuntern, sich frühzeitig um eine Palliativversorgung zu bemühen.



Frau Prof. Dr. Johanna Anneser setzt den Vortrag „nahtlos“ mit dem Thema Palliative Versorgung und Hospizarbeit fort und nutzt dazu sehr viele „Folien“.

Hindernisse von Seiten der Ärzte

- (Eine Abbildung von Hippokrates mit einem Zitat von vor 2400 Jahren)
„Treffe die nötigen Anweisungen freundlich und heiter (…) ohne etwas vom zukünftigen oder gegenwärtigen Zustand zu enthüllen. Viele Patienten haben einen schlechteren Verlauf genommen (…) durch die Vorhersagen dessen, was geschehen wird.“
(Hippokrates Decorum XVI, 460-370 v. Chr.)

- (Ein Foto des ersten Kosmonauten Juri Gagarin vom 12.April 1961)
Es waren schon Menschen im Weltraum, als im Jahr 1961 eine Umfrage bei amerikanischen Ärzten ergab, dass 88 % von ihnen die Diagnose „Krebs“ ihren Patienten routinemäßig zunächst nicht mitteilten. (Oken et al. JAMA 1961)


… und heute?

- über 96 % der Patienten wollen mitgeteilt bekommen, dass sie Krebs haben
- 79 % wollen so viel Information wie möglich über ihre Krankheit bekommen
- 66 % - 85 % wollen eine realistische Einschätzung über die verbleibende Zeit
(Morris 1982, Meredith et al. 1996, Alifrangis 2011)


Die gute Nachricht: Frühzeitige palliativmedizinische Behandlung kann Leben verlängern.

Sie belegt diese Aussage mit dem Ergebnis einer Studie.
(Temel et al. 2010: Early Palliative Care for Patients with Metastatic Non-Small-Cell Lung Cancer, N Engl J Med. 8/2010)
(deutsch: Frühzeitige Palliativmedizinische Versorgung für Patienten mit metastasiertem nicht kleinzelligem Lungenkrebs)

Bei dieser Studie wurden zwei Gruppen von Krebspatienten drei Jahre lang miteinander verglichen . Die Patienten der einen Gruppe hatten frühzeitig eine palliativmedizinische Versorgung erhalten, die Patienten der anderen Gruppe wurden später auch palliativmedizinisch versorgt.

In einem Diagramm ist auf der y-Achse (senkrecht) die Lebensqualität von 100 (oben) bis 0 (unten) und auf der x-Achse (waagerecht) die Überlebenszeit von 0 (Diagnosestellung) bis 36 Monate eingetragen.

Die Grafik zeigt, dass diejenigen Patienten, die frühzeitig palliativmedizinisch versorgt wurden, im Laufe dieser Zeit
- eine bis zu 20 % bessere Lebensqualität hatten
- etwa ein bis zwei Monate länger lebten
- weniger Depressionen hatten.


Die Palliativmedizin wird - je nach Bedarf - in verschiedenen Formen angeboten:

(Die Grafik zeigt ein Dreieck mit der Spitze nach oben, das in vier waagerechte Bereiche eingeteilt ist und (vermutlich) darstellt, wie häufig diese Möglichkeiten bestehen. Oben steht die Form, die am geringsten genutzt werden kann, unten diejenige, die in der eigenen Wohnung erfolgt.)

- Stationäres Hospiz
- Palliativstation
- Palliativmedizinische (Konsiliar-) dienste
- Hausärzte, niedergelassene Fachärzte, Ambulante Dienste: AAPV (Allgemeine ambulante Palliativversorgung), SAPV (Spezialisierte ambulante Palliativversorgung)


Wann und wie kann mir eine frühzeitige Mitbetreuung durch einen Palliativ(medizinischen) Dienst oder in einer Palliativsprechstunde nützen?

Es sind multiprofessionelle Teams, die sich bei uns aus Ärzten, Krankenschwestern, Sozialarbeitern und einer Kunsttherapeutin zusammensetzen, und so ähnlich ist das auch in den anderen Palliativteams. Sie betreuen an mehr als 60 bayerischen Krankenhäusern Patienten in den unterschiedlichen Fachstationen mit.


Tätigkeiten der Palliativdienste
- Schmerztherapie
- Behandlung anderer belastender Symptome
- Stützende Gespräche
- Hilfsmittelversorgung
- Entlassungsmanagement
- Anleitung von Angehörigen
- Pflegerische Tätigkeiten
- Hilfe beim Erstellen von Vorsorgedokumenten
- (...)
(aus einer Umfrage der bei den Bayerischen Palliativdiensten im Jahr 2018)


Palliativsprechstunde

Sie findet z.B. an der LMU und der TU München statt und ist auch für Patienten da, die nicht am Klinikum behandelt werden. Sie bietet die folgenden Möglichkeiten:
- Symptomkontrolle (Schmerzen, Atemnot, …)
- Vermittlung von Hilfen und Unterstützungsangeboten für zu Hause
- Unterstützung bei der Erstellung von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht
- (...)


Abschließend betont Frau Prof. Dr. Johanna Anneser, dass die Mitbetreuung durch Palliativdienste und Palliativsprechstunden niedrigschwellige Angebote sind, die auch parallel zu einer Chemotherapie oder anderen Tumorbehandlung in Anspruch genommen werden können.



Sepp Raischl berichtet über seine Tätigkeit im Hospiz, in dem den Kranken ein erfülltes Leben und ein würdevolles Sterben ermöglicht wird. Er begleitet seine Ausführungen mit einigen „Folien“.

Christophorus wird als Riese mit einem Stab dargestellt, der das Jesuskind auf seinen Schultern über einen Fluss trägt und als Symbol für den Schutz der Menschen vor einem plötzlichen Tod gilt. Viele Hospize und andere Einrichtungen, die Kranken und Sterbenden helfen, tragen seinen Namen. Sepp Raischl ist in einem Christophorus-Hospiz tätig und zeigt den Ausspruch der dort tätigen Ärztin:
„Ich versuche, mich mit meinem Tod anzufreunden. Wenn er kommt, wird er mir nicht unvertraut sein. Und das ist beruhigend.“


Während des Krankheitsverlaufs gibt es verschiedenen Stadien.

Mit der Diagnose beginnt die Akutbehandlung und es kann bereits ein ambulanter Hospizdienst hinzugezogen werden, der kurative (heilende), lebensverängernde oder palliativ ausgerichtete Therapien anbieten oder begleitet. Gespräche mit palliativen Fachkräften können hilfreich sein und auch ein längeres Leben ermöglichen.

Im weiteren Verlauf wird die Erkrankung chronisch. Für die Kranken sind die Palliativstation im Krankenhaus und nach der Entlassung SAPV-Teams tätig.

Wenn sich die Symptomatik immer stärker ausprägt, ist die Erkrankung bereits weit fortgeschritten. Eine Unterbringung in einem stationären Hopiz kann angestrebt werden.

Wenn der Tod des Erkrankten eintritt, werden die Angehörigen in ihrer Trauer weiterhin begleitet.


Ambulante Hospiz- und Palliativberatungsdienste

- „Ambulante Hospizdienste erbringen Sterbebegleitung sowie palliativpflegerische Beratung.“
(Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 2 Satz 8 SGB V i. d. F. von 2016)

- Palliative Beratung: u.a. Schmerztherapie, Symptomlinderung, Krankheitsverlauf, Krisenplanung, … erhält, fördert und verbessert die Lebensqualität und die Selbstbestimmung schwerstkranker Menschen

- Psycho-soziale Begleitung und Ehrenamtliche Begleitung:
   Einzelbegleitungen
   Gruppen in Pflegeheimen oder im Krankenhaus
   Einsätze in besonderen Situationen

- Aufbau und Koordination des Betreuungsnetzes in Absprache mit dem Hausarzt, ergänzend zum Pflegedienst u.a.

- Ethisch-rechtliche Beratung: Patientenverfügung, lebensverlängernde Maßnahmen

- regelmäßiger Kontakt durch Hausbesuche und Telefonate

- kostenfrei


Was tun Ehrenamtliche?

Sie sind ein Angebot mitmenschlicher Begleitung, jedoch kein Ersatz für regelmäßig bezahlte Dienste. Die Ehrenamtlichen haben solche Situationen erlebt und haben sich zu Hospizhelfern qualifiziert.

- Da sein, damit der Patient nicht alleine ist
- Entlasten und Unterstützen Angehöriger
- Gespräche, Vorlesen, Unternehmungen
- Auseinandersetzung mit persönlichen Fragen, Hoffnungen und Ängsten
- Übernahme kleinerer Besorgungen
- Handreichungen im häuslichen Bereich


Eine Spezielle ambulante Palliativversorgung (SAPV) ist dann erforderlich, wenn die allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV) nicht mehr ausreicht oder weil eine besonders aufwändige Versorgungssituation vorliegt, die nur von speziell ausgebildeten „Palliative-Care“-Fachkräften bewältigt werden kann.

Eine SAPV können Hausärzte verordnen.
Klinikärzte können bei der Entlassung eine Verordnung für sieben Tage ausstellen. (evtl. nur in Bayern oder nicht in jeder Klinik   KaSy)

Ein SAPV-Team ist ein multiprofessionelles Team, das im ambulanten Bereich sowie in stationären Pflege- und Betreuungseinrichtungen, in Wohngruppen und Wohngemeinschaften und dort abgestuft beratend, koordinierend oder versorgend tätig wird.


Stationäres Hopiz

Aufnahmekriterien:
- Menschen, die an fortschreitenden, nicht heilbaren Krankheiten leiden
- deren Lebenszeit auf wenige Monate begrenzt ist
- die aufgrund der Komplexität ihrer Erkrankung weder zu Hause noch im Pflegeheim versorgt werden können.

Die Aufnahme in ein stationäres Hospiz ist jedoch für diese Menschen nicht jederzeit möglich, da die Anzahl der Hospizplätze begrenzt sind. Über die Länge einer Wartezeit kann keine Aussage getroffen werden.
(Falls eine Aufnahme in ein Hospiz ärztlich begründet bevorsteht oder bevorstehen könnte, ist es ratsam, sich rechtzeitig um die Aufnahme zu kümmern. Falls der Platz nicht gebraucht wird, wenn er zur Verfügung steht, kann er auch abgesagt bzw. die Aufnahme verschoben werden.   KaSy)

Kosten:
- Für die Bewohner/innen ist es kostenfrei.
- 95 % des Tagessatzes übernimmt die Kranken- und Pflegekasse
- Privat Versicherte müssen die Kostenübernahme klären

Christophorus Hospiz München
- 16 individuell gestaltbare Einzelzimmer
- Die Bewohner/innen stehen mit ihren Wünschen und Bedürfnissen in Mittelpunkt
- Angehörige können auf Wunsch über Nacht bleiben
- individuelle palliativ-medizinische und -pflegerische Betreuung rund um die Uhr (in Absprache mit dem Hausarzt)
- Psycho-soziale Begleitung von Patienten und Angehörigen u.a. durch ehrenamtliche Hospiz-Helfer/innen
- Beratung zu sozialrechtlichen Angelegenheiten und Fragen am Lebensende
- Begleitung durch Seelsorger/innen, Atem- Kunst- oder Musiktherapeutin


Sepp Raischl beendet seinen Vortrag mit dem Spruch:
                              „Man lebt nur länger, wenn man aufhört zu versuchen, länger zu leben!“
                                                                                                                                  von Dr. Atul Gawande, Sterblich sein (S. 220)



Nun folgt ein Gespräch der drei Teilnehmenden:

Prof. Dr. Claudia Bausewein:
Wie werden die Schwerstkranken versorgt, wenn sie noch nicht in ein stationäres Hospiz aufgenommen werden können?

Sepp Raischl:
Die Hospizbetten sind knapp, aber die SAPV ermöglicht es mit ihrer sehr guten Betreuung, dass die Schwerstkranken länger zu Hause bleiben können, das betrifft etwa 60 % bis 80 % der Betroffenen.
Die geriatrischen Dienste in den Krankenhäusern kümmern sich auch um diese Menschen.
Die Bewohner/innen der Pflegeheime werden auch nicht vernachlässigt.

Prof. Dr. Johanna Anneser:
Die Erstellung der Vorsorgedokumente gehört mit zum Angebot durch ein Hospiz und die stationären Dienste. Das kann für die Betroffenen entlastend sein, wenn sie sich daran getraut haben.

Prof. Dr. Claudia Bausewein:
Sie weist darauf hin, dass es Situationen gibt, in denen man nicht mehr selbst entscheiden kann. Es ist besser, sich schon früh mit den Vorsorgedokumenten zu beschäftigen.

Prof. Dr. Johanna Anneser:
Es muss ein Vorsorgebevollmächtigter festgelegt werden!
Es besteht in der Bevölkerung immer noch die Ansicht, dass der Ehepartner diese Entscheidung treffen darf, das ist aber nicht so. Es muss jemand bevollmächtigt werden.

Sepp Raischl:
Man sollte in einer sehr frühen Phase darüber nachdenken, wer mein volles Vertrauen hat.
Das ist eine elementare Überlegung sowohl für die Kranken als auch für die Bevollmächtigten.

Prof. Dr. Johanna Anneser:
Haben Sie keine Angst vor der Palliativmedizin! Sie bietet eine Unterstützung in allen Krankheitsphasen.

Sepp Raischl:
Fragen Sie überall nach einer palliativen Versorgung: im Krankenhaus, beim Hausarzt, beim Pflegedienst, im Pflegeheim, bei der Krankenkasse, …

Prof. Dr. Claudia Bausewein:
Suchen Sie Ansprechpartner!


KaSy
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Im Video des Expertengesprächs „Versorgung / Kommunikation“ mit dem Thema Risikoabwägung bei der Behandlung von fortgeschrittenen Tumoren führen die folgenden vier Personen ein Gespräch:

Prof. Dr. Claus Belka (Direktor der Strahlentherapie, LMU / Großhadern)
Prof. Dr. Angela Krackhardt (Oberärztin der Internistischen Medizin, Rechts der Isar / TU München)
Dr. Susanne Tänzler (Oberärztin für Palliativmedizin, LMU / Großhadern)
Prof. Dr. Jens Werner (Chefarzt der Allgemein-Chirurgie, LMU / Großhadern)

In diesem Gespräch geht es um die Behandlung von onkologischen Patienten ab der Erstdiagnose, im weiteren Krankheitsverlauf, bei fortgeschrittener Krebserkrankung und bei komplexen Problemen.

Bei der Erstvorstellung des Patienten sollte mit dem Patienten offen darüber gesprochen werden, welche Diagnose er hat, wie der Krankheitsverlauf sein kann und welche Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Der Patient sollte so aufgeklärt werden, dass er wirklich versteht, wie es um ihn steht und welche Wirkungen und Nebenwirkungen jede der möglichen Behandlungen haben können.
Im Gespräch sollte die persönliche Situation des Patienten (Alter, Vorerkrankungen, Lebensort (München versus Umland - ??? KaSy), Familie, usw.) in dem Sinne berücksichtigt werden, welche Therapien evtl. auch nicht so sinnvoll sind, weil sie schlechter vertragen werden.
Die Wünsche des Patienten sollten mit einbezogen werden, aber auch die Wünsche der Angehörigen. Mitunter haben Angehörige andere Vorstellungen als die Patienten, dann wäre eine getrennte Erfragung und Aufklärung wichtig.
Manchmal benötigen Patienten etwas mehr Zeit für ihre Entscheidung, dann sollten ihnen ein weiteres Gespräch angeboten werden.
Wichtig ist, dass alle - Ärzte, Angehörige und vor allem der Patient - zu einer einheitlichen Meinung kommen, mit welchen Therapien das bestmögliche Ziel erreicht werden kann.

Die medizinische Entscheidung für die onkologische Therapie wird dann interdisziplinär in einem Tumorboard getroffen. Dort beraten die verschiedenen Fachärzte gemeinsam über den Patienten und beschließen die für ihn optimale Behandlung. Hier findet in jeder Krankheitsphase für den einzelnen Patienten die Risikoabwägung statt. Die Ärzte lernen in diesen Beratungen voneinander, welche weiteren oder neuen Möglichkeiten es in der zur Zeit sehr schnelllebigen Tumormedizin durch neue Forschungen oder Methoden anderer Ärzte gibt.
Es gibt nicht „den besten Arzt“ für eine bestimmte Krebserkrankung, sondern die Risikoabwägung ist stets eine Zusammenarbeit mehrerer Fachärzte.
Mitunter wird beklagt, dass bestimmte Ärzte nicht jederzeit zu sprechen sind, z.B. weil die Chirurgen gerade operieren. Dann muss man sich einen günstigeren Zeitpunkt suchen oder einen Termin vereinbaren, an dem dieser Arzt etwas mehr Zeit für ein Gespräch hat.
Manchmal bekommen die Patienten auch gar nicht mit, wie sehr die Fachdisziplinen im Tumorboard miteinander arbeiten und dass es viele Ärzte sind, die an der Therapieentscheidung mitwirken und den Patienten dadurch alle gut kennen.

Es gibt Krebspatienten, die sich trotz guter ärztlicher Aufklärung der tatsächlichen Schwere ihrer Krankheit nicht bewusst sind. Sie wissen zwar, dass sie Krebs haben, finden aber, dass es noch nicht so schlimm ist, weil es ihnen gut geht. Also wählen sie ihr wohnortnahes Krankenhaus, das sie vielleicht bereits kennen, und lassen sich dort behandeln.
Einige von uns kennen das. Sie werden von einem Neurochirurgen operiert, bei dem sie sich wohl fühlen. Der Tumor wird „vollständig“ entfernt, der Klinikaufenthalt ist kürzer als man befürchtet hatte und man darf schon bald nach Hause. Und dann erfährt man den Befund. Es sind weitere Therapien erforderlich. Das Krankenhaus kann sie nicht anbieten. Im blödesten Fall muss man sich selbst niedergelassene Onkologen und Strahlentherapiezentren suchen und hat mit der Radiologie für die MRT-Kontrollen vier verschiedene Anlaufstellen, die man selbst koordinieren muss. Das Loch, in das einen der Hirntumor geschubst hat, wird nicht kleiner, sondern größer. Man bräuchte psychologische Hilfe und soziale Hilfsangebote und die Angehörigen brauchen das auch. An eine palliative Versorgung denkt man schon gar nicht, man stirbt ja nicht gleich.      KaSy
Manche Patienten werden gar nicht darauf hingewiesen, dass eine Therapie in einer der großen Kliniken für sie besser wäre, weil es dort alle für ihre Krebsart zuständigen Fachärzte gibt, die sich miteinander beraten, um für jeden Patienten die optimale Therapie herauszufinden.
Es kann auch Hemmungen geben, sich in die großen Klinikkomplexe zu begeben. Dort ist alles riesig, kaum überschaubar, es scheint zu unpersönlich zu sein. Die vielen Gebäude, die langen Flure, der Fahrstuhl in die vielen Etagen, die vielen Räume, Ärzte, Pflegekräfte können als bedrohlich empfunden werden. Man fürchtet um seine Selbstbestimmtheit und wählt lieber das kleinere Haus, wo man sich sicher fühlt und auch gut behandelt wird.

Wenn sich ein Patient jedoch trotz aller Informationen dennoch für das kleine Krankenhaus entscheidet und bewusst auf die Hochleistungsmedizin verzichtet, dann ist das sein Wunsch, den man respektieren sollte. Er soll aber unbedingt eine Zweitmeinung in einer der großen Tumorzentren einholen. Denn nicht selten kommen Patienten in eine Uni-Klinik, die die Ärzte lieber schon viel früher gesehen hätten.

Wenn sich diese Patienten trotz ihrer Bedenken von vornherein darauf einlassen (und man sie vielleicht „an die Hand nimmt“), werden sie merken, dass es auch in den großen Häusern nette und empathische Menschen gibt. Sie profitieren von den Tumorboards, von der Abstimmung der Therapien in einem Haus und erfahren vor Ort psycho-soziale Unterstützung.
Palliativärzte kommen auf die Patienten zu und machen ihnen deutlich, dass Palliativmedizin keine Sterbemedizin ist. Multiprofessionelle Teams helfen bei der Ermöglichung einer besseren Lebensqualität während und nach den Therapien. Eine frühzeitig beginnende palliative Begleitung kann das Leben verlängern.

In jeder Phase der fortschreitenden Krankheit ist immer wieder Offenheit von allen Seiten wichtig, um die Risikoabwägung im Interesse des Patienten gemeinsam und einheitlich zu treffen und jedesmal neue und gut erreichbare Ziele zu bestimmen.


KaSy
Wenn man schon im Müllkasten landet, sollte man schauen, ob er bunt angemalt ist.

Der Hirntumor hat einen geänderten und deswegen nicht weniger wertvollen Menschen aus uns gemacht!

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Am Expertengespräch „Aktuelle Empfehlungen“ mit dem Thema Komplementäre Therapien beteiligen sich die folgenden Personen:

Wolfgang Dörfler (Facharzt für Neurologie, Arzt für Naturheilverfahren, Leiter der Beratungsstelle Komplementärmedizin und Naturheilkunde am Tumorzentrum München)
Markus Besseler (Psychologe bei der Bayerischen Krebsgesellschaft)
Erika und Otto Geiger (Ehepaar, Frau Geiger ist Ovarialkrebs-Patientin)

In diesem Gespräch gab es keine konkreten Angaben zu bestimmten komplementären Therapien.

Es ging um die Motivation, sich frühzeitig bereits mit oder bald nach der Krebsdiagnose in die Therapien mit einzubringen und insbesondere darum, aktiv und selbstbestimmt zusätzlich etwas für sich selbst zu tun.

Das Ehepaar schilderte ihre Situation, dass die Diagnose Krebs für sie beide unerwartet kam und ihnen schon früh bewusst war, dass ihr bisheriges Leben nicht wie geplant weitergehen wird.
Der Tumor wurde operativ entfernt und die Patientin wurde aus dem Krankenhaus entlassen.
Es standen Broschüren mit umfassenden Informationen über diese Krebsart zur Verfügung, die ihnen empfohlen wurden. Der Patientin selbst war das alles noch zu viel, aber ihr Ehemann befasste sich mit diesen Texten und wählte aus, was für seine Frau von Bedeutung war. Einige Zeit später las sie auch.
Der andere, für sie etwas wichtigere, Hinweis war der Kontakt zur Bayerischen Krebsgesellschaft (BKG).
Nach der Operation würde eine Chemotherapie beginnen, jedoch in der Zeit dazwischen fühlten sich beide allein gelassen.
Sie nahmen Kontakt zur BKG auf und erlebten dort bei einer Mitarbeiterin von Herrn Besseler ein persönliches Gespräch über alles, was mit dieser Erkrankung zusammenhängt. Ihnen wurde mitgeteilt, wo sie weitere Unterstützung bekommen könnten, um die Zeit der Therapien und auch die Zwischenzeiten mit einer guten Lebensqualität zu durchleben. Sie konnten Fragen stellen und empfanden dieses sehr persönliche Gespräch zusätzlich zu den fachlichen Informationen aus den Broschüren als sehr angenehm und für beide motivierend.
Bereits vor dem Beginn der Chemotherapie suchten sie mehreren Stellen auf, weil ihnen klar war, dass sie aktiv sein müssen. Die Patientin kümmerte sich um eine Ernährungsberatung, um sportliche Möglichkeiten, um eine Physiotherapie, um den Reha-Sport und fand dabei auch zur Beratungsstelle Komplementärmedizin und Naturheilkunde. Dort wurden sie und ihr Mann von Herrn Dörfler über alles, was die Chemotherapie an Nebenwirkungen bringen könnte und was man dagegen tun könne, beraten. Beide fühlten sich umfassend aufgeklärt und informiert.

Zum Zeitpunkt des Gesprächs befindet sich die Patientin in der Phase nach dem 4. Zyklus der Chemotherapie und berichtet, dass sie bisher einige Stoffwechselprobleme hatte und erst jetzt ein Kribbeln in den Fingerspitzen aufgetreten sei. Mit den von Herrn Dörfler empfohlenen Ernährungsratschlägen und zielgerichteten Medikamenten bzw. Ergänzungsmitteln komme sie damit gut klar.
Sie führe ihr Leben nahezu wie gewohnt weiter, sie gehe zum Stammtisch mit ihren früheren Kollegium, sei sportlich aktiv, gehe zur Physiotherapie und zum Reha-Sport, fahre mit anderen gemeinsam Rad, wandere mit ihrem Mann in den Bergen. Ihre Ernährung hätten sie ein wenig von der bereits gesunden auf eine fleischarme Kost umgestellt. Insgesamt gehe sie offen, aber nicht aufdringlich mit ihrer Krebserkrankung um. Es sei eben so, sie hätte eine gute Prognose und müsse eben das Beste daraus machen.
Ab der 5. Chemotherapie-Sitzung würde zusätzlich eine Antikörpertherapie erfolgen, es würde dann eine Stunde länger dauern. (Ich entnehme aus dieser Aussage, dass sie sich zu ihren Chemotherapie-Sitzungen in eine Klinik begeben muss, wo die Antikörper-Therapie ergänzend erfolgt.  KaSy) Die Antikörper-Therapie würde noch weitere 15 Monate angewendet werden.

Im gemeinsamen Gespräch ergab sich, dass die eigene Aktivität zum positiven Denken beiträgt und gegen die Angst, die Ungewissheit und über schlechte Tage hinweg hilft.
Mit dem Gehen sollte man schon in den Krankenhausfluren beginnen und zu Hause kann man nach und nach längere Strecken zurücklegen. Es ist jedoch nicht ratsam, jedem Patienten gleich zu sagen, dass „soundsoviele“ Minuten Sport am Tag erforderlich sind, denn es gibt Patienten, die so schwach sind, dass sie kaum aus dem Bett kommen. Diese soll man dazu motivieren, ganz klein anzufangen, „mit einem ersten Schritt“.
Es geht nicht um Leistungssport. Wenn jemand vor der Erkrankung eine bestimmte Sportart nicht ausgeübt hat, wird man ihn danach auch nicht dazu bewegen können. *
Bei dem Ehepaar ist es der Mann, der seine Frau immer wieder motivierte, indem er ihr sagte. „Du kannst das, wir machen das jetzt gemeinsam.“ Aber auch, wer einen solchen guten Motivierer nicht zu Hause hat, kann im Umfeld schauen, mit wem man gemeinsam aktiv sein kann und man könnte damit vielleicht auch der Freundin oder der Nachbarin etwas Gutes tun.

Die Berater müssen im Gespräch erkennen, ob die Information über die gesamte Vielfalt der möglichen ergänzenden Mittel, Methoden und Therapien nicht zu viel ist, denn es gibt Patienten und Angehörige, die dann auch „alles“ nutzen wollen. Diese müssen sorgfältig und behutsam darüber aufgeklärt werden, dass nicht alles wirklich hilft. Manches schadet während der Chemotherapie sogar. Anderes ist nur dann anzuwenden, wenn die betreffenden Nebenwirkungen auftreten. Einiges, was Patienten und mehr noch die Angehörigen an Vorstellungen aus dem Internet und aus Studien mit in das Gespräch einbringen, ist gar nicht sinnvoll, weil es nur im Labor gegen Tumorzellen wirkt, es aber nicht auf den Tumor im Menschen übertragbar ist.

Gemeinsam sollten die Ärzte und Berater mit dem Patienten und ihren Angehörigen das richtige und individuell passende Maß für die Komplementärmedizin finden, ihren persönlichen Heilungsweg.


KaSy


* Dieser Aussage stimme ich nicht ganz zu. Unsere Erfahrungen und auch die Erfahrungen anders schwer Erkrankter zeugen davon, dass es gerade die Bewegung ist, die zu den Aktivitäten gehört, die die Nachteile der Erkrankung ausgleichen können. Es gibt Sportarten, die man erst in den Reha-Kliniken oder im Reha-Sport kennenlernt. Sie werden den Patienten entsprechend ihren Fähigkeiten nahe gebracht und nicht wenige setzen diese und vielleicht auch weitere Sportarten zu Hause fort. Ich kenne einige Hirntumorpatienten, „die ihrer Krankheit davongelaufen sind“, natürlich im Rahmen ihrer Belastbarkeit. Wer die Paralympis gesehen hat, weiß, dass auch schwer Erkrankte hohe und höchste sportliche Leistungen erbringen können.
Wenn man schon im Müllkasten landet, sollte man schauen, ob er bunt angemalt ist.

Der Hirntumor hat einen geänderten und deswegen nicht weniger wertvollen Menschen aus uns gemacht!

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Antw:Krebsinformationstag am 23.10.2021 in München (mit Videoaufzeichnungen)
« Antwort #10 am: 09. November 2021, 23:57:11 »
Expertengespräch „Versorgung / Kommunikation“ mit dem Thema Cancer-Survivorship

Keiner der fünf Anwesenden hat die Bedeutung des aus dem US-amerikanischen Englisch stammenden Begriffs „Cancer Survivorship“ erklärt.
Ich habe im Wörterbuch und bei DocCheckFlexikon nachgeschaut und den Begriff in dieser Zusammensetzung nicht gefunden.
Wörtlich übersetzt heißt es „Die Krebs-Überlebenden“. Das kann es aber nicht sein, da Dr. Margret Schrader in ihren Ausführungen irrtümlich das Wort „Überlebende“ nannte und dann dazu sagte, dass man „Überlebende“ nicht mehr sagen soll sondern „Menschen nach Krebs“.
Im DocCheckFlexikon wird mit „Survivor Syndrom“ eine Posttraumatische Belastungsstörung bezeichnet, die nach Naturkatastrophen, Kriegen, Konzentrationslagerhaft, Epidemien, Unfällen mit fast immer mehreren bis unzählbar vielen Toten bei den Überlebenden entstehen kann. Sie leiden unter einem zermürbenden Schuldgefühl, das zu schweren psychischen Problemen führen kann.
Inhaltlich müsste gemeint sein:
Die Betreuung / Nachsorge von Menschen, die mit / nach Krebs nach Abschluss ihrer Behandlungen / Therapien leben   oder kurz   „Nachsorge für Menschen mit und nach Krebs“.


Prof. Dr. Dr. Michael von Bergwelt (Leiter der Klinik für Onkologie und Hämatologie, LMU / Großhadern)
PD Dr. Andreas Dinkel (Leitender Psychologe der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, tätig in der Psychosozialen Onkologie, TUM / Rechts der Isar)
Dr. Margret Schrader (Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krebsstiftung seit Juli 2021, zuvor sehr lange Geschäftsführerin der Deutschen Krebsgesellschaft in NRW)
Prof. Dr. Maximilian Niyazi (Stellvertretender Klinikdirektor der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie, LMU / Großhadern)
Ina Weixler (Brustkrebs-Patientin, seit kurzem im Patientenbeirat der CCCM)

Dr. Margret Schrader stellt die Arbeit und die Inhalte der Deutschen Krebsstiftung vor und nutzt dabei Folien:
(Die Folien habe ich abgeschrieben, deswegen stehen die Anführungsstriche jeweils am Anfang und Ende jeder Folie.)

„Cancer Survivorship - der Begriff
- Insgesamt 4,4 Mio. Personen mit bzw. nach Krebserkrankung (2014)
- Bei etwa zwei Drittel aller Fälle lag die Krebsdiagnose >/= 5 Jahre zurück.
- Cancer Survivors = inhomogene Gruppe von Krebsbetroffenen
- Aber: Die Betroffenen eint die Erfahrung, mit einer Krebsdiagnose konfrontiert worden zu sein
- Unterschiedliche Krankheitsverläufe und -stadien erfordern differenzierte Betrachtung von Patient*innen mit bzw. nach Krebs.“

„Cancer Survivorship - Zurück zum Leben
- Eine Krebserkrankung wirkt sich auf die gesamte Lebenssituation der Betroffenen aus: Familie, Freunde, Beruf, soziale Teilhabe
- Der German Cancer Survivors Day der Deutschen Krebsstiftung weist seit 2015 auf diese besondere Situation hin.
- Veranstaltung auf belebtem Platz in Berlin“
(Sie nannte für 2015 den Berliner Hauptbahnhof und für 2016 bis 2020 das Sony-Center in Berlin und sagte, dort könne jeder, der vorbeikommt zuhören.)
„- Intention:
   - Krebs ist nicht gleichbedeutend mit Tod
   - Focus auf Überlebende
   - Öffentlichkeit schaffen für diese Gruppe
   - Zeigen, wie Menschen mit der Erkrankung leben
- Zurück im Leben
   - Probleme thematisieren
   - Möglichkeiten und Wege aufzeigen
   - Mut machen, Stärke vermitteln“

„2021: Kein Live-Event, stattdessen Online-Konzept
- Erweiterung auf eine German Cancer Survivors Week (31.05. bis 05.06.2021)
- Online-Formate:
   - Videostreaming von Interviews und Podiumsdiskussionen
   - Vorproduzierte Einspieler
   - Interaktive Sitzungen in kleineren Gruppen
- Mitgestaltung durch Landeskrebsgesellschaften
- Themen der German Cancer Survivors Week 2021
   - 31.05.2021   Thüringen & NRW, Komplementärmedizin
   - 01.06.2021   NRW, Krebs und Kommunikation
   - 02.06.2021   Sachsen, Bewegung und Sport
   - 03.06.2021   Hamburg, Achtsamkeit, Chronic Fatigue
   - 04.06.2021   Baden Württemberg, Survivor-Versorgung
   - 05.06.2021   DKS & Brandenburg, Finanzielle Not
- Reichweiten
   - Insgesamt wurden die Angebote der German Cancer Survivors Week 2021 insgesamt 1200 mal aufgerufen.
   - In den sozialen Netzwerken haben wir mit unseren Infos rund um Veranstaltung 2160 Personen erreicht.
- Fazit
   - Online-Formate mit den Landeskrebsgesellschaften als Partner haben sich bewährt.
   - Wir werden diese positive Erfahrung in unsere Überlegungen zur GCSW 2022 mitnehmen.“

Ich habe die Ausführungen von Dr. Margret Schrader und die Inhalte ihrer Folien nicht so ganz nachvollziehen können und sie deswegen hier wörtlich abgeschrieben.


Es folgt ein freies Gespräch.

Prof. Dr. Dr. Michael von Bergwelt spricht darüber, dass die Ärzte bis vor etwa fünf Jahren glücklich darüber waren, wenn sie Krebserkrankungen endlich heilen konnten. Sie hatten aber nicht bedacht, dass es nun um die Langzeitfolgen der Menschen gehen würde, die mit und nach Krebs weiterleben. Demzufolge wurden die Krebstherapien weniger toxisch, um deren dauerhafte Folgen zu verringern und den Betroffenen eine besseres Leben zu ermöglichen.

PD Dr. Andreas Dinkel erklärt, dass die Langzeitfolgen sehr viele Bereiche betreffen, die Familie, die von anderen übernommenen Organisationsaufgaben, die der Betroffene wieder selbst übernehmen möchte, die Freizeit mit neuen und wieder bisherigen Aktivitäten und dann auch den beruflichen Wiedereinstieg. Wenn es in der Arbeit nicht immer so gut gelingt, dann sollten sich die Personen überlegen, wer dort ein Ansprechpartner sein könnte und was sie wem sagen möchten.
Studienergebnisse zeigen, dass viele Patienten ihre lange andauernden Symptome auf die Krebstherapien zurückführen, es sind jedoch auch Folgen der Erkrankung selbst. Sie sollten sich Hilfe in einer Krebsberatung oder in einer Psychoonkologischen Ambulanz suchen.

Ina Weixler berichtet darüber, dass ihre Krebstherapie ein Jahr lang dauerte, beginnend mit einer Chemotherapie, dann einer Operation, einer Bestrahlung und noch einer Chemotherapie. Die Folgen waren vorwiegend kognitiver Art, sie leidet immer noch unter Gedächtnisproblemen. Ihre Knochen sind von Osteoporose betroffen und die Zahnhälse leiden, daran kann sie sich gewöhnen. Sehr stört sie der Geschmacksverlust, aß sie früher mit Genuss, schmeckt heute immer noch alles nach Pappe, aber auch damit kann sie irgendwann leben.
Am meisten stört sie die Antriebsminderung. Sie hat ein Riesenbedürfnis nach Ruhe. Dadurch fallen jegliche Vorsätze nach Bewegung weg, obwohl sie weiß, wie wichtig das wäre. Sie kann keine Fitness aufbauen, selbst wenn sie sich bewegt, sie wird einfach nicht stärker. Sie hat einen Tinnitus, aber nicht immer. Sie ist sehr viel ängstlicher geworden, z.B. beim Autofahren ist sie eine miserable Beifahrerin, immerzu hat sie Angst, dass der Fahrer einen Unfall bauen würde. Das Vertrauen in andere ist verschwunden.
Und doch hat sie gestaunt, wie gut sie das alles überstanden hat.

Prof. Dr. Dr. Michael von Bergwelt fragt sie, ob sie auf diese Folgen vorbereitet war, ob sie sie erwartet hat.

Ina Weixler meint, diese Folgen kamen nach und nach. Dann wurden sie erklärt. Aber oft wurde ihr auch nicht geglaubt, denn die Ärzte meinten, sie wäre die einzige, bei der solche Folgen auftreten. Aber sie kennt sich doch selbst sehr gut! Erst in der Psychoonkologie konnte sie über alles reden.

Prof. Dr. Maximilian Niyazi schildert die Entwicklung der noch recht jungen Strahlentherapie. Erst 1895 wurden die Röntgenstrahlen entdeckt und seit den 1940er Jahren fanden medizinische Bestrahlungen statt. Seitdem gab es eine stetige Verbesserung der Zielgenauigkeit und Dosisanpassung. Dadurch sind die früheren Nebenwirkungen durch andere Folgen abgelöst worden, die auch noch 30 Jahre später auftreten können. Die Strahlentherapeuten bestellen ihre Patienten noch viele Jahre nach der abgeschlossenen Bestrahlung zu sich, um sich über die Kurz- und Langzeitfolgen informieren zu lassen. Das wiederum ist ein Mehrwert für die folgende Generation der Patienten. Ärzte sollten besonders die Krebstherapie ihrer Patienten auch über ihre Beendigung hinaus begleiten, um davon zu lernen und ihre künftigen Patienten immer besser behandeln zu können.
Prof. Dr. Maximilian Niyazi nannte einige Beispiele dieser Entwicklung bei inzwischen heilbaren Krebserkrankungen :
- Brustkrebs: Wenn die linke Brust betroffen ist, stellt sich die Frage, ob wir lieber die Lunge oder das Herz schonen.
- Prostatakrebs: Es gibt mehrere Möglichkeiten einer Therapie mit verschiedenen Folgen, über die der Patient mit entscheiden muss. Der eine möchte operiert, ein anderer bestrahlt und der nächste mit einer Chemotherapie oder einer Kombination aus mehreren Verfahren behandelt werden. Und manche möchten gar keine Therapie.
- Kopf-Hals-Tumoren: Von recht groben Bestrahlungen, bei denen die Schilddrüse und der Speichelfluss in Mitleidenschaft gezogen wurde, Mundtrockenheit und Schluckbeschwerden Langzeitfolgen waren, konnten im Laufe der Jahre viel präzisere Techniken mit deutlich geringeren Nebenwirkungen und Langzeitfolgen entwickelt werden.
- Auch über die noch nicht oder bereits heilbaren Hirntumoren traf er die Aussage, dass versucht wird, nicht die „Hormonachse“ mit zu bestrahlen.

Dr. Margret Schrader hob nach diesen Beschreibungen hervor, wie anschaulich Ina Weixler die Folgen ihrer Krebstherapie beschrieben hat und meinte, dass sich die Nachsorge der Ärzte noch sehr weit „strecken“ müsse.

Ina Weixler ergänzt, dass ihre richtige Krise erst drei Monate nach dem Abschluss der Therapien entstand. Während der Behandlungen ist sie ständig mit den Behandlungen beschäftigt gewesen und da gehörten bestimmte Nebenwirkungen einfach dazu und sie bekam sie auch erklärt. Nach Beendigung der Krebstherapie dachte sie, diese Symptome, vor allem kognitiver Art, müssten endlich geringer werden. Aber das taten sie nicht und es war ja auch kein Arzt mehr da, der ihr genau diese Folgen erklärte, die ja nicht wirklich von ihrem Brustkrebs kommen konnten. Das führte sie in eine heftige Krise hinein.

Prof. Dr. Dr. Michael von Bergwelt beschrieb daraufhin einen seiner Patienten, der wegen Leukämie behandelt worden war, nach Therapieabschluss häufiger stärkere Probleme bekam und deswegen immer mal wieder ins Krankenhaus musste. Dieser sagte ihm später, er sei ganz froh gewesen, dass er mehrmals stationär aufgenommen wurde, weil er dann Ärzte und medizinisches Personal wegen seiner so lange dauernden Nebenwirkungen befragen konnte.

PD Dr. Andreas Dinkel sagt dazu, dass es für sehr viele Entitäten (Krankheiten) Nachsorgepläne gibt. Wenn die Patienten zum „Screening“ (Er meint „zur Nachsorge“. Screening ist eine Vorsorge-Reihen-Untersuchung, um bestimmte häufige Krankheiten in der Bevölkerung frühzeitig zu entdecken oder es ist die Suche nach einer Krankheit bei einem Patienten wegen seiner Symptome.) kommen, dann schwingt in den Gesprächen oft auch die Sorge vor einem Rezidiv und andere Ängste und Sorgen mit, die bei manchen leider sehr massiv sind.
Die Ärzte sollten die Nachsorgetermine auch für die psychischen Befindlichkeiten ihrer Patienten nutzen. Gerade wenn sie wieder in den Beruf einsteigen und unter Folgen der Krebserkrankung leiden, sollten sie auf die Möglichkeiten hingewiesen werden, dass sie mit anderen darüber reden sollten, dass sie auch weiterhin Krebsberatungsstellen aufsuchen dürfen, dass sie eine ambulante Psychotherapie durchführen können oder dass sie auch eine weitere stationäre Rehabilitation beantragen.
Es ist für den gesamten Heilungserfolg wichtig, dass die Patienten sich dann auch selbst informieren, sich nicht nur auf andere verlassen, sondern aktiv Eigeninitiative zeigen.

Ina Weixler erzählt, dass sie dezentral behandelt wurde. Sie hat / hatte ein „Triple-negatives Mammakarzinom“, also einen Brustkrebs, der als Hochrisikotumor eingestuft wird, da er vermehrt zu Rezidiven neigt und streuen kann. Das Nachsorgeschema ist jedoch für alle Brustkrebspatientinnen das selbe, ob sie diesen aggressiven Brustkrebs haben wie sie oder einen weniger aggressiven und besser heilbaren hormonabhängigen Brustkrebs. Für alle gelten die selben Drei-Monats-Abstände der Sonografie-Kontrollen und der jährlichen Mammographien. Das gehe nicht in ihren Kopf!
Der Onkologe fällt ja raus, weil die Chemotherapie beendet ist.
Ihre Gynäkologin behandelt sie leitlinientreu und sie fühlt sich auch gut behandelt.
Aber von ihrem Krankheitsbild her fühlt sie sich nicht beruhigt und nicht gesehen. Und dann hört sie auch: „Sie müssen halt auf Symptome warten. Wenn Sie Husten haben oder wenn im Kopf etwas nicht mehr so läuft, dann müssen Sie sich melden.“ Auf die Gefühle, die sie durchlebt und die sie beunruhigen, wird nicht eingegangen.
Andererseits hört sie auch von der personalisierten Medizin, die bestimmte Befunde individuell behandeln kann.
Es ist für sie schon schwierig, mit der Progredienzangst (Angst vor einem Tumorwachstum oder einem Rezidiv) umzugehen. In diese Angst verfällt sie jetzt nicht direkt, aber ihr Kopf ist nicht zufrieden. Sie hat sich dann irgendwann entschieden, aus Eigeninitiative zu ihrem Onkologen zu gehen und sie hat ihn überzeugt, dass jetzt wenigstens mal ein paar Untersuchungen gemacht werden.
Ihr Hausarzt ist manchmal so freundlich, sich ihren Oberbauch anzuschauen.
Vielleicht wird das ja in den Zentren anders gemacht, aber sie denkt, dass es ganz gut wäre, wenn ihre Ärzte einige ihrer Befürchtungen auch auffangen könnten.

Prof. Dr. Dr. Michael von Bergwelt sagt dazu, es ist ein Spagat zwischen der Therapie und der Nachsorge bei geringer oder hoher Rezidivwahrscheinlichkeit. Für alle gilt das gleiche Nachsorgeschema.
Wenn man alle Krebspatienten nach Therapieende alle drei Monate in einen Computertomographen (CT) schickt, dann werden nach mehrmaligen CT bei allen irgendwann Auffälligkeiten festgestellt werden, aber das hilft gegen die individuelle Besorgnis nicht. Im Gegenteil, vielleicht ist nach der Corona-Impfung der Lymphknoten etwas geschwollen, dann machen sich die Betroffenen größere Sorgen, aber es ist gar kein Rezidiv.
Das ist die Herausforderung - die Ärzte behandeln und die Patienten sorgen sich.

Prof. Dr. Maximilian Niyazi stellt dazu fest, dass Nachsorgeschemata für bestimmte Krankheiten etabliert sind, sie ändern sich aber auch!
Für manche zusätzliche Untersuchungen muss man mit den Kostenträgern des Patienten regeln, ob sie finanziert werden, z.B. ob bei einem Triple negativen Mammakarzinom auch eine Untersuchung des Kopfes erfolgen darf. In vielen anderen Bereichen der Onkologie sehen wir an vielen anderen Stellen des Körpers Metastasen, dann würde man eine Chemotherapie verschieben. Beim Brustkrebs ist das seltener und wir würden die Patienten beunruhigen. Aber es gibt auch bei Brustkrebspatientinnen Gruppen, bei denen es durchaus besser wäre, wenn man mehr nachschauen würde.

Prof. Dr. Dr. Michael von Bergwelt ergänzt, dass die Kommunikation extrem wichtig ist.

PD Dr. Andreas Dinkel äußert die Meinung, es sei wichtig, vorgefertigte Formulierungen für bestimmte Adressaten vorzubereiten, also nach dem Prinzip „Wem teile ich was mit“.

Ina Weixler bestätigt, dass die Patienten in einer ganz neuen Rolle sind, mit der sie sich erst identifizieren und sich dann darin zurechtfinden müssen.

Prof. Dr. Dr. Michael von Bergwelt sagt, dass es sich um vielfältige Langzeitfolgen handelt, die den Betroffenen dauerhaft Probleme bereiten können. Das können Probleme des Nervensystems, Gedächtnisstörungen, Geschmacksverluste, motorische Einschränkungen und viele weitere sein.
Einerseits rückt die Toxizität der Therapien immer mehr in den Vordergrund und er ist davon überzeugt, dass es in etwa 20 Jahren vom Instrumentarium her möglich sein wird, jede Krebserkrankung heilen zu können. Das Problem ist aber, dass es uns diese Toxizität nicht erlauben wird, die Therapien in dieser Art auszuführen. Das ist die Herausforderung der Zukunft. Deswegen rückt das Thema „Cancer Survivorship“ (Nachsorge für Menschen mit und nach Krebs) immer mehr in den Vordergrund.
Die Schwierigkeit dabei ist, dass wir als Ärzte nicht sagen können, wenn jemand eine Nebenwirkung hat, ob er sie langfristig hat oder wie lange er sie haben wird. Das sehen wir ja auch bei „Long Covid“, das jetzt in aller Munde ist, das ist nicht vorherzusagen, wer das bekommt und wer nicht. Umso mehr muss man es ernst nehmen und im „Follow up“ (Nachsorge) und / oder in der poststationären Behandlung es immer wieder bei dem Patienten erfragen und auch konkret nach möglichen Folgen fragen. Probleme treten durch die Strukturen des Gesundheitssystems auf, weil mehrere verschiedene Fachärzte an verschiedenen Orten an der Behandlung eines Krebspatienten beteiligt sind.

PD Dr. Andreas Dinkel sagt, dass dann umso mehr die Eigeninitiative der Patienten gefragt ist, sie müssen sich um Hilfe kümmern, um eine Reha-Maßnahme, zu einer Selbsthilfegruppe gehen.
Die medizinischen Experten können den Betroffenen sagen, wenn „das und das“ passiert, dann ist es eine normale Nebenwirkung und dafür gibt es eine Lösung. Aber von sich aus suchen die Ärzte das Problem nicht an einer komplett anderen Stelle.

Dr. Margret Schrader spricht sich für ein langfristiges Denken und gemeinsames Handeln aller Versorger und Berater aus und bezeichnet es als „neue Klammern bilden“, um die verschiedenen Stellen zu verbinden.

Prof. Dr. Maximilian Niyazi geht darauf ein und sagt, dass in den großen Zentren durch die hohe Patientenzahl sehr viele Daten zusammenkommen. Diese müssen gesammelt werden, um aus ihnen für die künftige Therapien zu lernen.

Ina Weixler bedankt sich ausdrücklich dafür, dass sie hier so offen über sich reden durfte.



KaSy
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Antw:Krebsinformationstag am 23.10.2021 in München (mit Videoaufzeichnungen)
« Antwort #11 am: 12. November 2021, 01:46:44 »
Expertengespräch „Versorgung / Kommunikation“ mit dem Thema Qualitätsgesicherte Information für Betroffene

Prof. Dr. Hana Algül (Geschäftsführender Direktor des CCC München , Klinikum Rechts der Isar der TU München
Susanne Kagermeier („BürgerTelefonKrebs“ des Bayrischen Zentrums für Krebsforschung)
Prof. Dr. Julia Mayerle (Direktorin der Medizinischen Klinik II im Klinikum der LMU)
Dr. Susanne Weg-Remers (Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums in der Helmholtz-Gemeinschaft = „dkfz“)

Prof. Dr. Hana Algül führt durch das Gespräch.

Dr. Susanne Weg-Remers spricht zum Thema Wie erkenne ich „gute“ Gesundheitsinformationen?
Die vielen Möglichkeiten, sich im Internet informieren zu können, sind von Vorteil, aber es ist für die Patienten auch schwierig, diese Informationen einordnen zu können. Man findet dort persönliche Patientenberichte, Gesundheitsinformationen von neutralen Anbietern, aber auch interessengeleitete Informationen und Werbung, die man voneinander unterscheiden sollte.

Seriöse Informationen haben ein Impressum, aus dem der Anbieter leicht zu erkennen ist, die Autoren und Quellen werden offen gelegt, man kann mit dem Anbieter in Kontakt treten, es werden Ziele und Zielgruppen genannt, das Alter und die Aktualität der Information sind angegeben, es finden sich Angaben zur Qualitätssicherung der Internetseite, Werbung und Informationen sind voneinander getrennt, die Finanzierung und die Kooperationspartner werden angegeben und die Nutzer können erkennen, ob ihre Daten gespeichert werden und was mit diesen Daten weiter passiert.
Der Krebsinformationsdienst hat ein Informationsblatt zum sicheren Surfen im Internet veröffentlicht:
www.krebsinformationsdienst.de/service/iblatt/iblatt-sichersurfen.pdf

Wie kann man die inhaltliche Qualität einer Gesundheitsinformation einschätzen?
Es finden sich Angaben zum Herausgeber, zum Erstellungsdatum und zu den Zielen der Publikation, zu den genutzten Informationsquellen, zu den Themen, für die keine sicheren Informationen vorliegen, zum Nutzen und den Risiken eines Verfahrens, zu den möglichen Alternativen und zur Beeinflussung der Lebensqualität durch diese Methode.
Gute Gesundheitsinformationen sind ausgewogen und weder reißerisch noch emotional. Sie machen deutlich, ob ein objektiver oder ein persönlicher Standpunkt wiedergegeben wird und sie machen keine unrealistischen Versprechungen.

Für Fragen zum Thema Krebs stehen die folgenden Kontakte zur Verfügung:
Tel.: 0800 / 420 30 40
Mail: krebsinformationsdienst@dkfz.de
Webseite: www.krebsinformationsdienst.de


Susanne Kagermeier stellt das „BürgerTelefonKrebs“ des Bayrischen Zentrums für Krebsforschung (BZKZ) vor. Seit einem Jahr beraten in Bayern drei Personen am Telefon zum Thema Krebs:
- u.a. ein Arzt zum Thema Hirntumoren
- aktuell über die STIKO-Empfehlungen zu COVID-19-Impfungen bei Krebspatienten
Tel.: 0800 / 85 100 80
Mail: buergertelefon@bzkf.de
Webseite: www.bzkf.de

Für uns gibt es die Telefonangebote der Deutschen Hirntumorhilfe e.V.:
Hirntumor-Informationsdienst: 03437 / 702 702 (wochentags von 10 bis 16 Uhr)
Psychoonkologische Beratung: 03437 / 999 68 67 (dienstags von 10 bis 15 Uhr)



Prof. Dr. Julia Mayerle berichtet aus ihrer Praxis von Gesprächen mit Patienten und Angehörigen und schlussfolgert daraus, dass die Flut an wahllos zur Verfügung stehenden Informationen es notwendig macht, den Patienten qualifizierte und jeweils aktualisierte Informationen zur Verfügung zu stellen.

Sie nennt das Beispiel, dass jemand zu ihr in die Sprechstunde kam, der wegen eines Krebsverdachts sein Genom vollständig entschlüsseln ließ und sich dann Informationen zusammensuchte, die zu der Schlussfolgerung führten, hier läge ein Prostatakrebs vor. Und diese Person war eine Frau! Ein solches Vorgehen, bei dem sinnlos Kosten (von ca. 200 €) ausgegeben wurden, kostet in der Beratung unheimlich viel Zeit für die Erklärung aller möglichen Ursachen und Zusammenhänge dafür, dass „eine“ veränderte Stelle im Genom eines Menschen nicht gleich eine Krebserkrankung erzeugt.

Sie schildert ein weiteres allgemeines Beispiel, das ihr häufiger bei Älteren begegnet. Es kommen Patienten mit der Krebsdiagnose zu ihr und bringen ihre Angehörigen mit. Diese haben sich im Internet und aus allen möglichen Quellen bereits umfassend über sämtliche Möglichkeiten der Behandlung informiert und kommen mit festgelegten Vorstellungen über die Therapiearten und deren Ablauf zu ihr. Der Patient wurde in diese Festlegungen gar nicht einbezogen, weil die Angehörigen zu wissen meinten, was das Beste für ihn ist. Auch in diesen Fällen ist es sehr zeitaufwändig, diese Pläne in ihre Einzelheiten zu zerlegen und jeweils zu erklären, warum was nicht funktioniert oder schadet und was hilfreich wäre. Erst dann kann sie als Ärztin ihre fachlich fundierte Meinung darlegen, die auf die Gesamtsituation des Patienten abgestimmt sein muss. Mitunter ist es sogar erforderlich, die Angehörigen zu bitten, dass sie allein mit dem Krebspatienten über seine ganz persönlichen Vorstellungen sprechen darf, denn es geht ja um ihn!

Besonders schlimm findet sie die „Scharlatanerie“, dass mitunter Patienten kommen und ihr sagen, sie würden sich jetzt „ketogen ernähren“, denn „Ich muss doch meinen Tumor aushungern.“ Das ist so schlimm!


Prof. Dr. Hana Algül fragt, wie überzeugt man denn die Patienten (und auch deren Angehörige), wenn sie mit festen Vorstellungen in die Sprechstunden oder in die Kliniken kommen.

Prof. Dr. Julia Mayerle sagt, es sei vor allem wichtig, Vertrauen zu erzeugen, ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis zu schaffen. Sie berichtet, dass die Studenten versuchen, die Arztbriefe unserer Ärzte so zu übersetzen, dass ihre Inhalte von den Patienten verstanden werden. Sie sagt aber auch, dass im Klinikalltag im Durchschnitt in den Visiten nur acht Minuten für jeden Patienten zur Verfügung stehen, um mit ihm zu sprechen, ihm alles zu erklären und auf seine Fragen zu antworten. Das ist nicht zu schaffen. Darüber muss man sich bewusst sein und in diesen acht Minuten den Patienten zusätzliche konkrete Personen anbieten, mit denen sie reden können.

Dr. Susanne Weg-Remers äußert sich auch ganz klar dazu, dass man derartige „dubiose Ansätze wie z.B. eine ketogene Diät“ sehr überzeugend widerlegen muss. Die Wünsche der Patienten sollte man aber ernst nehmen und mit ihnen gemeinsam überlegen und begründet sortieren, was ihnen schaden würde und was für sie hilfreich wäre.

Prof. Dr. Julia Mayerle macht ihren Patienten immer wieder klar, dass sie alles, was sie wollen und können, auch weiterhin tun dürfen.
„Ihr Leben hat sich durch den Krebs stark verändert, aber leben Sie aktiv Ihr Leben so, wie Sie es vorher taten und wie es Ihnen jeweils möglich ist!


KaSy
PS: Das kursiv geschriebene stammt von mir.
Wenn man schon im Müllkasten landet, sollte man schauen, ob er bunt angemalt ist.

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« Antwort #12 am: 18. November 2021, 01:55:14 »
Expertengespräch „Versorgung / Kommunikation“ mit dem Thema Kinderwunsch (Fertilitätsprotektion)

Prof. Dr. Christian Thaler (Leiter des Hormon- und Kinderwunschzentrums der LMU / Großhadern)
Felix Pawlowski (Deutsche Stiftung für Junge Erwachsene mit Krebs)
Ananda Plate (Patientin, Vertreterin der Chief Executive Officer (CEO) Myeloma Patients Europe)

Ananda Plate eröffnet das Gespräch, indem sie auf die große Bedeutung des Themas „Kinderwunsch“ hinweist, das gerade bei Frauen, Männern und Paaren im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung mit viel Hoffnung, Emotionen und Schmerz verbunden ist. Wenn man die Diagnose Krebs erhält, denkt man zuerst an alles andere, aber nicht an den eigenen Kinderwunsch, der bei sehr jungen Menschen oft noch in der Zukunft liegt.

! !  Dieses Thema stößt in Deutschland an gesetzliche Grenzen und überschreitet sie zum Teil. Es braucht Mut, Kraft sowie politische Initiative und Hartnäckigkeit, diese so wichtige Lebensqualität für die Zeit nach einer überstandenen Erkrankung für die Menschen mit Kinderwunsch, für die Mediziner und die Befürworter des Erhaltens bzw. Wiedererlangens der Fertilität durchzusetzen.
Entsprechend emotional, politisch fordernd, teilweise bedrückend, aber mit sehr viel, noch nicht immer erfüllter, Hoffnung verlief die Diskussion.


Prof. Dr. Christian Thaler beschreibt mit Hilfe einiger Folien die Möglichkeiten, die Fruchtbarkeit vor onkologischer Therapie zu schützen

Er beginnt seinen Vortrag mit der Überschrift eines Zeitungsartikels: „Der Gott hat uns zwei Leben geschenkt“. Es geht um eine junge Frau, die sehr lange und belastende Krebstherapien durchstand, die Erkrankung überlebte und wieder gesund wurde. Ihr wurde ihr Leben wiedergegeben. Nach einigen Jahren konnte sie es kaum fassen, dass sie schwanger wurde und ein gesundes Kind zur Welt brachte. Das war für sie und auch für das Kinderwunschzentrum eine Sensation, der zu diesem Artikel mit ihrem so sehr glücklichen Satz als Überschrift führte. Sie bekam später sogar noch ein zweites Kind.

Der Arzt beschreibt die Möglichkeiten des Erhaltens bzw. Wiedererlangens der Fertilität (Fortpflanzungsfähigkeit) im Zusammenhang mit den Krebstherapien:

1. Verfahren: Operative Verlegung der Eierstöcke
Das ist ein relativ einfaches Verfahren, das mit dem „Schlüssellochprinzip“ durchgeführt wird. Die Eierstöcke werden verlegt, um sie vor einer Bestrahlung zu schützen. (Das hilft jedoch nicht, wenn eine Chemotherapie vorgesehen ist.)

2. Verfahren: Medikamentöser Schutz der Eierstöcke
Die medikamentöse Ruhigstellung der Eierstöcke geschieht mit einer Depot-Spritze, die ein bis drei Monate lang wirkt. Sie versetzt die Eierstöcke in einen kindlichen Zustand zurück. Das wird deswegen getan, weil Beobachtungen gezeigt haben, dass kleine Mädchen Chemotherapien in Bezug auf ihre Fruchtbarkeit recht gut vertragen. Bei erwachsenen Frauen können als Nebenwirkungen Beschwerden des Klimakteriums (Wechseljahre) auftreten, also z.B. Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Scheidentrockenheit.
Die Effekte dieser Methode in Bezug auf einen späteren Kinderwunsch werden in der Fachwelt kontrovers diskutiert. Mögliche Einflussfaktoren sind die Grunderkrankungen der Frau mit der Art ihres Krebsleidens sowie die Art der geplanten Chemotherapie. Mögliche Folgen waren je nach der untersuchten Fragestellung der durchgeführten Studien z.B. das Auftreten vorzeitiger Menopausen, der Anteil der Schwangerschaften.
Auf dieses Verfahren allein sollte man sich also nicht verlassen und eine weitere Methode ergänzen.

3. Verfahren: Einfrieren von Eizellen
Das ist ein sehr gut etabliertes und sicheres Verfahren für den Erhalt der Fruchtbarkeit. Es wird mittlerweile umfangreich in anderen Bereichen der Reproduktionsmedizin genutzt.

- Social Freezing bezeichnet das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund. Diese Möglichkeit gibt Frauen, die sich ihren Kinderwunsch derzeit nicht erfüllen können oder wollen, größere Chancen auf eine Schwangerschaft jenseits des Alters von etwa 35 Jahren.
(Von gesetzlicher Seite gibt es dafür in der BRD keine Einschränkung, die Kosten betragen für die Gesamtbehandlung etwa 2200 €, die Kosten für die Lagerung etwa 155 € im Halbjahr.)

- Bei der Eizellspende wird das Kind mithilfe der gespendeten Eizelle einer anderen Frau gezeugt. Die Spenderin ist daher die genetische Mutter des Kindes. Die juristische Mutterschaft geht jedoch auf die Frau über, die das Kind geboren hat und damit auf die Empfängerin der gespendeten Eizelle.
(Laut dem Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 ist in der BRD die Eizellspende verboten, während die Samenspende erlaubt ist und es für die Embryonenspende keine Regelung gibt. Die Kosten im Ausland betragen zwischen 4000 € und 10000 €.)


Für die Frauen, die durch eine Erkrankung, die Chemotherapie, die Bestrahlung unfruchtbar werden, ist das Verfahren, die eigenen unbefruchteten Eizellen einfrieren zu lassen, eine sichere Methode.

Bei diesem Verfahren wird am 1. Zyklustag, also am 1. Tag der Periode, damit begonnen, dass sich die Frau selbst körpereigene Hormone spritzt, um die Reifung der Eizellen zu intensivieren.
Im Eierstock kann man im Ultraschall nach wenigen Tagen sehen, dass mehrere „Fruchtbläschen“ heranreifen gegenüber dem einen, der sonst im üblichen Zyklus entsteht.
Am Tag 10 oder 12, also etwa in der Zyklusmitte, macht man dann eine kurze Narkose für einen Eingriff von etwa 10 Minuten, wo man durch die Scheide mit dem Ultraschall die Eibläschen sehen kann und sie absaugt. Auf diese Weise kann man 10, 15 oder 20 Eizellen gewinnen.
Wenn man die Zeit hat, kann man das möglicherweise sogar zweimal hintereinander machen. Für eine Punktion brauchen wir 10 bis 15 Tage, für zwei Punktionen knappe drei Wochen, da der „Start“ für die zweite Punktion in jeder Zyklusphase beginnen kann.

Diese Zeit steht eigentlich von onkologischer Seite immer zur Verfügung. Eine Krebsdiagnose ist zwar psychologisch ein Notfall. Man hat das Gefühl, ganz schnell etwas machen zu müssen. Tatsache ist aber, dass eine Krebserkrankung sich ja typischerweise über viele Monate oder Jahre entwickelt hat. Insofern macht es zu dem Zeitpunkt, wo man das diagnostiziert, keinen großen Unterschied, ob man mit der Krebstherapie drei Wochen später anfängt. Die Zeit haben wir also und wir bieten dieses Verfahren den Frauen an. Die Eizellen werden eingefroren und können beliebig lange bei sehr tiefen Temperaturen aufgehoben werden und stehen dann später zur Verfügung.

Die Kosten dafür werden glücklicherweise und endlich seit ganz wenigen Monaten erst von den gesetzlichen Krankenkassen komplett übernommen, also einschließlich der Medikamente und der Lagerung der Eizellen. Das war lange Zeit ein ganz großes Problem, denn es ist ein ziemlich teures Verfahren.

Die Sicherheit des Verfahrens, dass wir 20 oder 30 Eizellen gewinnen, ist ein ganz großer Vorteil. Denn wir brauchen so viele Eizellen, weil die durchschnittliche „Einnistungsrate“ bei unbefruchteten Eizellen etwa 5% bis 7% und bei befruchteten Eizellen 8% bis 10% beträgt. Es genügen also nicht zwei oder drei Eizellen, sondern man braucht 20 oder mehr Eizellen, um überhaupt eine Chance zu haben, dass eine Eizelle befruchtet wird, sich einnistet und zu einer Schwangerschaft führt. Eine Sicherheit dafür gibt es leider gar nicht. Aber je mehr Eizellen man gewinnen konnte, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau schwanger wird und ein Kind zur Welt bringen kann.


4. Verfahren: Einfrieren von Eierstockgewebe

Eierstockgewebe kann vor einer Chemo- oder Strahlentherapie entnommen, kryokonserviert (eingefroren) und im Falle eines Funktionsverlustes der Eierstöcke später transplantiert werden, um die Fruchtbarkeit wieder herzustellen.

Das 4. Verfahren klingt zunächst ganz gut. Man friert den ganzen Eierstock ein. Das ist ein kleiner Eingriff, der zwar größer ist als das Absaugen der Eizellen. Aber man kann es ohne Vorbehandlung machen. Es entfällt also die vorherige Hormonbehandlung zur Stimulation der Bildung von Eizellen. Der Eierstock wird zum Teil herausgenommen und eingefroren.

Das ist ein interessantes, aber noch experimentelles Verfahren, für das bisher nur begrenzte Erfahrungen vorliegen. Es wird vor allem in Ausnahmesituationen oder als zusätzliches Verfahren im Rahmen des Netzwerkes „Fertiprotekt“ (Zusammenschluss der Kinderwunschzentren) angewandt. In Deutschland wird das entnommene Eierstockgewebe dann an drei Zentren verschickt, da es nur dort, in Bonn, Düsseldorf und Erlangen, „Universitäre Kryobanken“ gibt.

Das Eierstockgewebe muss dann später reimplantiert werden.

Aber das übertragene Gewebe hat nur eine begrenzte Funktionsfähigkeit von einigen Jahren. Es gibt mit diesem Verfahren mittlerweile erst eine „überschaubare Zahl“ von Schwangerschaften gegenüber den zigtausend Schwangerschaften, die mit den eingefrorenen Eizellen entstanden sind. Es sind etwa 200 bis 300 Schwangerschaften - weltweit - die nach der Rücksetzung von eingefrorenem Eierstockgewebe entstanden sind und zu Lebendgeburten geführt haben.

Oft ist dennoch eine „künstliche Befruchtung“ erforderlich.

Das Risiko der Übertragung bösartiger Zellen mit dem zurück gesetzten Eierstockgewebe ist bisher noch nicht sicher geklärt.

Es ist ein Verfahren, das nur in einzelnen Fällen genutzt wird, also wenn man die Zeit von ein/zwei Wochen wirklich nicht hat. Oder man kann es zusätzlich machen, aber wir sind da eher noch zurückhaltend.


Die Fertilitätsprotektion ist eine interdisziplinäre Aufgabe, bei der viele Fachärzte beteiligt sind:
Onkologen
Operateure
Psychologen
Reproduktionsmediziner
Gynäkologische Endokrinologen
Embryologen / Kryobiologen
Humangenetiker



Felix Pawlowski ist bei der „Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs“ für die Presse- und Kommunikationsarbeit verantwortlich und spricht sehr emotional und beeindruckend von der aktiven und sehr langwierigen und zähen Arbeit, die Politik davon zu überzeugen, dass für die Menschen eigene Kinder zu ihrem Leben dazu gehören und auch in Deutschland Krebs & Kinderwunsch endlich durch eine sinnvolle Gesetzgebung zusammengehören dürfen.

Für junge Menschen, bei denen wegen einer Erkrankung durch diese Krankheit oder/und durch die Therapien Unfruchtbarkeit droht, bietet diese Stiftung im Internet bei www.junges-krebsportal.de umfassende Informationen, individuelle Unterstützung und den Austausch Gleichgesinnter für ihren späteren Kinderwunsch an. (Man findet dort auch weitere Kontaktdaten.)

Felix Pawlowski knüpft an die Vortragsinhalte von Prof. Dr. Thaler an und sagt, dass er beschreiben wird, wie es dazu gekommen ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen nach sehr langer Zeit endlich die emotionale Lage der Menschen verstehen und die komplette Finanzierung der Kinderwunschbehandlung übernehmen.

Das war lange, lange nicht so. Es ist ein ganz wichtiger psychologischer Effekt, wenn man erfährt, dass man die Fruchtbarkeit erhalten und später eine Familie gründen kann. Das bedeutet ja auch, dass man eine Krebserkrankung übersteht. Früher kam dann aber ganz oft der Hinweis: „Ja, es tut uns Leid, aber es kostet, und zwar nicht wenig.“ Bei Männern ist es einfacher, Spermien zu entnehmen und zu konservieren, da kostet es 500 €. Aber das Einfrieren von Eizellen einer Frau und die gesamte Behandlung kostet 5000 € oder sogar noch mehr.

Deswegen haben wir uns als „Deutsche Stiftung für Junge Erwachsene mit Krebs“ damit beschäftigt. Gegründet wurden wir im Jahr 2014 von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie e.V. (DGHO), damit junge Betroffene in Deutschland zwischen 18 und 39 Jahren eine zentrale Ansprechpartnerin haben für alle Dinge, die um die Krebserkrankung herum passieren, also das Organisatorische, sozialrechtliche Dinge, die Nachsorge, den Umgang mit der Krebserkrankung an sich. Dafür bieten wir als Stiftung Unterstützung. Das Schöne dabei ist, dass wir mit vielen sehr jungen Krebsbetroffenen zusammenarbeiten und ihre Erfahrungen aus erster Hand bekommen. Diese münzen wir dann in Hilfsprojekte um. U.a. bieten wir auch die Möglichkeit des Austauschs untereinander an, der sehr gefragt ist, weil man in den Kliniken und Praxen in seiner Altersgruppe oft relativ alleine ist. Denn Krebserkrankungen treten meist erst in gehobenem Alter auf. Wir haben in ganz Deutschland ein Netzwerk mit mittlerweile 37 Treffpunkten aufgebaut.

Das Thema Krebs und Kinderwunsch haben wir aufgenommen, weil sich die Bedürfnisse von jungen Erwachsenen mit Krebs deutlich von den Bedürfnissen älterer Betroffener oder den Betroffenen aus der pädiatrischen (Kinder-)Onkologie unterscheiden. Bei uns spielen vor allem Themen eine Rolle wie die Unterbrechung der Ausbildung oder eben auch die Familienplanung. Das Thema Krebs und Kinderwunsch wurde vor vielen Jahren an uns herangetragen, weil junge Betroffene immer wieder auf uns zu kamen und gesagt haben: „Das Thema ist uns sehr, sehr wichtig, daran sollte man doch denken. Wir haben das Problem, dass das von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen wird. Wir stehen jetzt da und müssen versuchen, innerhalb kürzester Zeit sehr viel Geld zu organisieren.“

In einer Befragung, die von der Universität Leipzig unter jungen Erwachsenen mit Krebs durchgeführt wurde, stand das Thema Kinderwunsch unter den „Top 3“ der wichtigsten Themen. Da haben wir gesagt, da muss man doch etwas machen. Wir haben 2016/2017 erstmal angefangen, in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und bekamen viele Rückmeldungen von Betroffenen. Dann haben wir Informationen zusammengetragen, welche Verfahren es gibt und welche rechtlichen Voraussetzungen bestehen bzw. wo die Gesetzeslücke ist. An welcher Stelle müssten wir nachjustieren, damit das eine Kassenleistung wird. Diese Inhalte haben wir im Jahr 2017 in der „Gesundheitspolitischen Schriftenreihe der DGHO“ im Band 11 „Vom Krebs geheilt, aber nicht gesund. Keine Hoffnung auf eigene Kinder“ festgehalten und sind damit zu Gesundheitspolitiker/innen gegangen und haben mit ihnen darüber Gespräche geführt. Dabei haben wir junge Betroffene mitgenommen und diese haben den Politiker/innen, die meist sogar aus ihrem Wahlkreis kamen, ihre Geschichten erzählt, dass sie diese fruchtbarkeitserhaltenden Verfahren durchführen ließen und sie aber selbst bezahlen mussten. Das traf auf einen sehr breiten Konsens bei den Parteien, mit denen wir gesprochen haben und es sorgte dafür, dass ein Gesetzgebungsprozess angestoßen wurde. Der wurde durch unsere Stiftung und die DGHO als Fachgesellschaft unterstützt. Wir haben Stellungnahmen geschrieben und das ging eine ganze Weile, etwa zwei Jahre, und mündete dann darin, dass im Rahmen des „Terminservice- und Versorgungsgesetzes“ (TSVG) im Mai 2019 eine Gesetzesanpassung für die Kryokonservierung von Eizellen erfolgte. Wir waren im Bundestag dabei und haben uns sehr gefreut, dass das endlich eine gesetzliche Leistung der Krankenkassen wird.
Doch das war nur der erste Schritt. Denn wir hatten alle gehofft, dass wir in dem Moment schon unseren Betroffenen sagen können: „Hier, reicht die Rechnung ein und Ihr bekommt Euer Geld.“
Dem war aber nicht so.

Im Gesetz stand nun schon das Folgende:
„Änderung des §27a im Sozialgesetzbuch V (SGB V) (Künstliche Befruchtung):
„(...) (4) Versicherte haben Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheint, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach Absatz 1 vornehmen zu können. (...)“
(5) Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 4.
Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb 5/ 27a.html

In diesem Gesetz war also bereits festgelegt, dass für alle Betroffenen, also nicht nur Krebskranke, die Kosten für die gesamte Behandlung und Lagerung von den Krankenkassen übernommen wird.
Nun schloss sich aber noch ein zweiter Teil an:
Ein Ausschuss, in dem viele Vertreter aus dem Medizinbereich sitzen, sollte die Richtlinien erstellen, wie das Ganze in der Praxis aussehen soll.
Ein Bewertungsausschuss sollte die Kosten, die Abrechnungsziffern usw. festlegen.
Dafür bekam jedes Gremium ein halbes Jahr Zeit. Sie haben aber nicht 12 Monate gebraucht, sie haben 26 Monate gebraucht.
Die Kostenübernahme ist erst seit dem 1. Juli 2021 tatsächlich Pflichtkassenleistung.

Diese lange Zwischenzeit war sehr frustrierend, weil wir in dieser Zeit viele Betroffene begleitet haben, denen wir sagen mussten, dass das Gesetz schon existiert, sie es aber noch nicht in Anspruch nehmen können.

Das Gesetz in der Praxis:
Wenn der behandelnde Arzt sagt, dass fruchbarkeitserhaltende Maßnahmen nötig sind, besteht darauf ein Anspruch.
Es folgt ein zweistufiges Beratungsverfahren mit dem Onkologen bzw. Hämatologen und dem Fertilitätsmediziner.
Frauen bis zum 40. Lebensjahr und Männer bis zum 50 Lebensjahr können diese Leistungen in Anspruch nehmen.
Es umfasst auch die Maßnahmen der Samen- und Eizellkonservierung sowie des Hodengewebes, nicht aber die Entnahme und die Lagerung von Ovarialgewebe, das ist ein Sonderfall.

Probleme bei der Umsetzung des Gesetzes:

Der Sonderfall bei der Lagerung von Ovarialgewebe besteht darin, dass die Entnahme und das Einfrieren von Samen oder Eizellen zu einer künstlichen Befruchtung führen, die Reimplantation der Eierstöcke aber zu einer natürlichen Befruchtung. Das ist eine Krankenbehandlung und diese müssen die Krankenkassen sowieso schon übernehmen. Allerdings hatten die Krankenkassen im Jahr 2010 dagegen geklagt, weil sie meinten, es sei ein experimentelles Verfahren, das man nicht anerkennen kann. Nun gibt es dieses Verfahren bereits seit 25 Jahren, es wurde 1997 das erste Mal in Erlangen durchgeführt, und deswegen ist eigentlich dieses Urteil längst überholt. Wir kämpfen gerade darum, dass dieses Verfahren in Zukunft auch übernommen wird. Wir haben gerade vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) erfahren, dass noch vor Weihnachten 2021 das „Stellungnahmeverfahren“ eröffnet wird und wir hoffen, dass es im Laufe des Jahres 2022 genehmigt und finanziert wird.

Bisher gibt es die Einschränkungen für Betroffene unter 18 Jahren, weil die Hormone zur Stimulation von Eizellen vor dem 18. Lebensjahr nicht zugelassen sind. Da hat der GBA eine Lücke gelassen und wir müssen sehen, wie sich das in der Praxis verhält, wenn z.B. zwei Mädchen in einem Patientenzimmer sind und die eine hat gerade ihren 18. Geburtstag hinter sich und der anderen fehlen noch ein paar Tage bis dahin. Da sollte es Lösungen geben.

Sehr problematisch war die Übergangszeit der letzten zwei Jahre. In diesen 26 Monaten haben wir etwa 200 junge Betroffene begleitet, die Anfragen an uns gestellt und gesagt haben, dass sie das Ganze eingereicht haben, es aber nicht übernommen wurde. Wir haben etwa 200 Widersprüche geschrieben und befinden uns jetzt sogar mit etwa 12 Betroffenen in einem Sozialrechtsprozess.

Wir hatten in dieser Übergangszeit, als das noch nicht geregelt war, mit 109 Krankenkassen Kontakt aufgenommen und sie gebeten, in dieser Übergangszeit doch so kulant zu sein und auf Einzelfallbasis die Kosten zu übernehmen. Auf unsere erste Briefaktion hatten wir sieben positive Rückmeldungen und auf unsere zweite etwa zwanzig. Da waren zum Glück einige große Krankenkassen dabei, aber die großen Ersatzkassen zum Beispiel nicht. Deswegen hatten die meisten Betroffenen tatsächlich mit Ablehnungen zu leben. Das ist sehr schade, denn die Betroffenen können sich ja nicht aussuchen, wann sie erkranken. Der letzte in einem Prozess abgelehnte Fall war am 16. Juni 2021 und zwei Wochen später trat das Gesetz in Kraft. Das ist sehr schwer zu erklären.

Was wir auch gelernt haben, war die teilweise sehr unschöne Kommunikation der Krankenkassen mit den Betroffenen. Da wurde sehr viel am Telefon bedrängt. Wir haben auch alle Textbausteine aus Briefen von den Betroffenen geschickt bekommen und wir wissen daher, mit welchen teilweise sehr zweifelhaften Aussagen die Krankenkassen an die Betroffenen geschrieben haben. Das war sehr ärgerlich.

Eine weitere Schwierigkeit ist die Übernahme der Kosten der Lagerung von denjenigen, die bereits ihre Samen oder Eizellen konserviert haben, denn seit dem 1. Juli 2021 müssen auch die Lagerkosten von den Krankenkassen übernommen werden. Aber das bedeutet, dass man die alten privaten Verträge, die man mit den Kryobanken abgeschlossen hatte, umgeschrieben werden müssen auf zukünftige Abrechnungen durch die Krankenkassen. Und das gestaltet sich im Moment als äußerst schwierig.



Ananda Plate berichtet von ihrer eigenen Krebserkrankung, durch die sie unfruchtbar wurde, als sie Mitte 20 war. Sie hatte einen längeren Weg von Fehldiagnosen hinter sich, bevor der Krebs erkannt wurde. Dann musste sie eine der schwersten Therapien durchstehen und durchlebte Todesängste. Zuvor hatte sie von den Ärzten keinerlei Aufklärung darüber erhalten, dass die Chemotherapie zur Unfruchtbarkeit führen könnte. Erst im allerletzten Moment erfuhr sie von Möglichkeiten, sich später ihren Kinderwunsch doch noch erfüllen zu können und ließ ihre Eizellen einfrieren.

Fünf Jahre nach Abschluss der Therapien galt sie als geheilt und bemühte sich um das Auftauen der Eizellen. Das wurde aber falsch gemacht und die Eizellen wurden dabei zerstört. In Deutschland war eine künstliche Befruchtung mit einer Eizellspende damals unmöglich, aber in einigen europäischen Länder wurde es schon gemacht. Sie fuhr nach Spanien und unterzog sich dort der Behandlung einer künstlichen Befruchtung. Sie musste dafür 10000 € bezahlen.
Sie zeigt ein Foto mit ihr und ihrem jetzt vierjährigen Sohn, auf dem beide sehr glücklich sind.

Ihre Schwangerschaft wurde mit der Eizellspende einer anderen Frau erzeugt. Das ist in Deutschland immer noch verboten, aber man darf darüber reden, sagt sie. Dieses Verbot steht im „Embryonenschutzgesetz“, das im September 1990, also vor 31 Jahren, im Bundestag beschlossen wurde. Die Partei der Grünen war erstmals im Bundestag und hat zugestimmt. 31 Jahre - das ist so lange her, da war Krebs noch nicht heilbar, es gab noch keine Handys, kein weltweites Internet. Die medizinische Forschung ist jetzt so viel weiter, da ist dieses Gesetz längst überfällig!

Sie zeigt die folgenden drei Folien:

Was passiert bei der Diagnose?
- Werde ich das überleben? - Man befindet sich in einem Schockzustand.
- Man ist mit Therapieoptionen, Prognosen, dem möglichen Tod und vielen Informationen überfordert, die man nicht versteht.
- Ein normales Familienleben nach der Therapie ist das Letzte, woran man in diesem Moment denkt.
- Der hohe Zeitdruck, die Therapie zu beginnen, erschwert informierte Entscheidungen.

Was bedeutet die Eizell-/Samenspende für uns in der Praxis?
- Informationshürden
- Ethische und rechtliche Hürden
- Gesellschaftliche Hürden
- Klinische Hürden
- Finanzielle Hürden

Was sollten wir von unserem Arzt verlangen?
Die Aufklärung über die Möglichkeiten der Fertilitätserhaltung sollte bei der Diagnose einer Krebserkrankung zur Routine gehören - auch wenn im Patienten-Arzt-Gespräch oft wenig Zeit bleibt!
Warten Sie aber nicht darauf, dass Ihr Arzt Sie informiert:
- Fragen Sie selbst nach den möglichen Risiken für die Fruchtbarkeit.
- Diskutieren Sie die besten Möglichkeiten zur Erhaltung der Fruchtbarkeit, auch wenn das bedeutet, dass Sie dafür in ein anderes Land reisen müssen.
- Teilen Sie Ihre Prioritäten mit Ihrem Arzt - auch wenn sie nicht mit seinen Prioritäten übereinstimmen.
- Bestehen Sie darauf, zeitnah an einen Fertilitätsspezialisten überwiesen zu werden - warten Sie nicht zu lange.
Bitten Sie Ihren Arzt, ehrlich zu sein und keine falschen Erwartungen zu wecken!



Es folgt ein Gespräch der Anwesenden.

Prof. Dr. Christian Thaler freut sich über den glücklichen Ausgang ihrer Krebserkrankung und darüber, dass sie ein Kind bekommen konnte.
Er sagt, das wir jetzt viel weiter sind, denn einige Dinge sind glücklicherweise in die Routine eingegangen. Die Beratung zur Kinderwunschbehandlung gehört zur Standardberatung in den Diagnosegesprächen bei einer Krebserkrankung dazu. Die Entwicklung bis dorthin war nicht immer einfach, denn auf vielen Zusammenkünften von Onkologen ging es stets vorrangig um das Heilen des Krebses und nicht um das Leben nach dem Heilungserfolg. Aber diese Perspektive eines Lebens mit einer Familie gehört mit zum Prozess der Therapie, zum Durchstehen dieser teils sehr belastenden Behandlungen.

Die Wissenschaftler, auch der Leopoldina, haben seit Jahrzehnten in mehreren Legislaturperioden Gesetzesvorlagen eingereicht, aber die Politik hat immer anderes zu tun. Die Samenspende ist erlaubt, aber die Eizellspende ist im „Embryonenschutzgesetz“ explizit verboten. In Deutschland war man lange der Meinung, die Kinder, die mit der Eizelle einer anderen Frau entstanden sind, hätten später Probleme mit der „gespaltenen Elternschaft“, weil sie eine Mutter haben, die das Kind ausgetragen hat und eine andere genetische Mutter. Später hat es sich natürlich gezeigt, dass die Kinder damit kein Problem hatten und genauso gesund sind wie andere Kinder auch. Insofern ist eine Anpassung dieses Gesetzes längst überfällig.
In der BRD ist die Beratung und Information durch den Arzt über das Verfahren der Eizellspende immer noch ein „Offizialdelikt“ oder ein „Beihilfedelikt“, also eine strafbare Handlung. Das geht z.B. sogar soweit, dass der Ehemann, der seine Frau zu dieser Behandlung fährt, belangt werden kann. Es gibt Fälle, wo die Staatsanwaltschaft ermittelt hat. Da fühlt man sich als Arzt sehr schlecht.

Felix Pawlowski erzählt, dass er häufig in den sozialen Medien liest oder manche Betroffene von ihrem Umfeld die Frage gestellt bekommen: „Warum adoptiert Ihr nicht einfach ein Kind?“ Das ist überhaupt nicht so einfach, wie manche es denken. Vor einer Adoption eines Kindes werden die Paare gründlich, auch auch ihre Gesundheit, geprüft und wenn in der Familie Krebs aufgetreten ist, gilt das Paar als nicht stabil, denn es könnte doch sein, dass die Krankheit wieder ausbricht.
Wir werden von Betroffenen häufig gefragt: „Was können wir denn tun?“ Wir können dann nicht einfach sagen: „Geht ins Ausland und lasst Euch dort helfen.“ Wir werden uns aber als Stiftung gemeinsam mit den Betroffenen weiter bemühen und uns an die Regierung und den Bundestag wenden. Wir treffen immer häufiger gerade in der Zeit vor den Bundestagswahlen (am 26.09.2021) auf „offene Ohren“ gerade bei den Parteien, die jetzt wahrscheinlich in der Regierung mitwirken werden und dadurch nimmt unsere Hoffnung auch zu.

Ananda Plate glaubt, dass die gerade neu gewählte Regierung eine „Riesen-Chance“ bedeutet, um Änderungen zu bewirken.
Zur Zeit gehen in jedem Jahr immer noch etwa 5000 Paare ins Ausland und unterziehen sich dort dieser Behandlung, um sich ihren Kinderwunsch doch noch zu erfüllen.
Es darf doch nicht sein, dass ein Arzt dafür belangt werden kann, weil er Betroffene über Methoden zur Erhaltung der Fruchtbarkeit informiert!
Sie hat einen sehr schönen Satz von Wissenschaftlern der Leopoldina gehört: „Es ist in hohem Maße problematisch, potentielle Kinder schützen zu wollen, indem man ihnen das Leben erspart!“ Dieser Satz ging ihr nicht aus dem Kopf, als sie diesen Vortrag vorbereitet hat, denn es ist doch so! Es ist doch total veraltet, diese medizinischen Möglichkeiten den Menschen vorzuenthalten.

Prof. Dr. Christian Thaler ergänzt, dass er oft mit den Wissenschaftlern der Leopoldina in Berlin zusammengesessen hat. Die Reproduktionsmediziner dort ziehen alle an einem Strang. Einer seiner Kollegen hat jetzt für den nächsten DEG-Kongress (Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie) einen Vortrag vorbereitet, der das Thema trägt: „Politiker*innen kommen und gehen - das Embryonenschutzgesetz bleibt bestehen.“ Wir brauchen endlich ein zeitgemäßes Gesetz in Deutschland.
Im Jahr 2003 ist in Deutschland ein „Gesundheitsmodernisierungsgesetz“ in Kraft getreten, das bis heute den Kinderwunsch sehr erschwert. In diesem Gesetz ist auch heute immer noch geregelt, dass man nach dem Auftauen der Eizellen, wenn man sie befruchtet, nur die Hälfte der Kosten von den Krankenkassen erstattet bekommt. Man hat nur drei Versuche und man muss verheiratet sein. Also wenn man z.B. seit zehn Jahren als festes Paar zusammen ist und man ist nicht verheiratet, dann bekommt man es nicht erstattet. Und dann gibt es noch die Altersgrenzen, das Paar muss mindestens 25 Jahre, aber die Frau noch nicht 40 Jahre und der Mann noch nicht 50 Jahre alt sein.
Dieses Gesetz ist von den Grünen (Joschka Fischer) und der SPD (Gerhard Schröder) gemeinsam mit der Mehrheit im Bundestag beschlossen worden. In dem Jahr, das diesem Gesetz folgte, sind in Deutschland 10000 Kinder weniger geboren worden. Aber dieses Gesetz ist bis heute nicht geändert worden und das in einer Zeit, wo man sich über jedes Paar freuen sollte, dass Kinder bekommt.

Gemeinsam wird das Gespräch mit den Worten beendet, dass es noch viel zu tun gibt und in der gemeinsamen Arbeit auch erreicht werden kann.



KaSy
1. PS: Alles kursiv geschriebene stammt von mir.
2. PS: Interessant ist für junge Betroffene auch: „Finanzielle und soziale Folgen der Krebserkrankung für junge Menschen“ (Band 16 der „Gesundheitspolitischen Schriftenreihe der DGHO“)
Wenn man schon im Müllkasten landet, sollte man schauen, ob er bunt angemalt ist.

Der Hirntumor hat einen geänderten und deswegen nicht weniger wertvollen Menschen aus uns gemacht!

Offline KaSy

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Expertengespräch „Aktuelle Möglichkeiten der Behandlung“ mit dem Thema Seltene Tumore

Prof. Dr. Maximilian Reichert (Gastroenterologe, Medizinische Klinik II der TUM)
Dr. Benedikt Westphalen (Onkologe, Medizinische Klinik III der LMU)
Marc Pöppel (Patient mit Pankreas-Karzinom = Bauchspeicheldrüsenkrebs in zu jungem Alter)

Seltene Tumoren kommen bei weniger als 6 von 100.000 Personen vor. Die Patienten überleben häufig weniger als 5 Jahre.

Da der Anteil seltener Tumoren an allen Krebserkrankungen 20 % beträgt, ist es sogar die größte Gruppe der Tumordiagnosen. Grob untergliedern sie sich in 10 Gruppen (Hirntumoren = ICD-Diagnoseschlüssel 10), aber jede dieser Gruppen schließt sehr viele Untergruppen und individuelle Tumorarten ein (Hirntumoren = mehr als 100).

Wegen der Seltenheit dieser Tumoren sind sie auch bei den Fachärzten weniger bekannt. Es gibt kaum standardisierte Verfahren und wegen der geringen Patientenzahl auch zu wenig Erfahrungen. Da diese Tumoren sehr viele verschiedene Eigenschaften haben, führen die Behandlungen oft nicht zur Heilung und zu oft nicht zu einem längeren Überleben, so dass häufig zu einer individuellen Therapie übergegangen werden muss.

Seltene Tumoren werden am besten in Zentren behandelt,
- wo sie häufiger gesehen werden
- wo in Tumorkonferenzen Ärzte unterschiedlicher Fachdisziplinen regelmäßig über einzelne Patienten und auch die molekulare Struktur ihrer Tumoren beraten
- wo eine Zusammenarbeit mit Ärzten anderer Zentren im eigenen und über das eigene Land hinaus möglich ist
- wo Patienten durch ihre Ärzte in ihre Therapien einbezogen werden
- wo Veränderungen der Therapien entsprechend der gesundheitlichen Entwicklung des Tumorpatienten im Miteinander mehrerer Ärzte und des Betroffenen beraten werden

Diese Zentren schließen sich in den Ländern und über die eigenen Ländergrenzen hinaus in Netzwerken zusammen, um gemeinsam eine immer bessere Versorgung der Patienten mit seltenen Tumoren zu erreichen. Für die Betroffenen und gleichermaßen für die Ärzte erbringt diese inhaltliche Zusammenarbeit bedeutende Vorteile.
Die Netzwerke wurden mit den folgenden Zielen geschaffen:
- Zugang zu Standardtherapieverfahren
- Zugang zur molekularen Diagnostik, um die genetischen Merkmale der Tumoren zu erkennen und dadurch individuelle / personalisierte Therapien zu ermöglichen
- Entwicklung von Edukationskonzepten (deutsch: Bildungskonzepte), für die ständige Weiterbildung und den Austausch der Ärzte anhand der Erfahrungen mit ihren behandelten Patienten
- Zusammenarbeit der Mediziner mit Patientenvertretergruppen
- Erleichterter Zugang für die Ärzte und die Betroffenen zu Expertenzentren
- Entwicklung von Clinical Practice Guidelines (CPGs) (deutsch: Medizinische Leitlinien)
- Internationale Vernetzung der Ärzte, um mehr Erfahrungen über die Behandlungen von Patienten mit vergleichbaren seltenen Tumoren zusammenzutragen und anzuwenden


Der Patient Marc Pöppel, bei dem ein für sein Alter sehr seltener Krebs diagnostiziert wurde, schildert gemeinsam mit seinem Onkologen Dr. Benedikt Westphalen, wie die Therapie bei solch seltenen Tumoren verläuft.

Der Patient ging mit seinen Symptomen in ein wohnortnahes Krankenhaus. Dort fühlte er sich nicht besonders gut verstanden und entschied sich dafür, um eine Zweitmeinung in einer größeren Klinik zu bitten.
In diesem Zentrum wurde auf ihn persönlich eingegangen, mit ihm wurde ehrlich über seinen bedenklichen Zustand gesprochen, ihm wurde offen gesagt, dass seine Krankheit lebenszeitbegrenzend sein kann. Ihm wurde aber auch Zuversicht gegeben, weil der Arzt sagte, er werde mit ihm gemeinsam alles versuchen, um diesen Tumor, der dort nicht hingehört, zu bekämpfen. Wegen seines noch jungen Alters von 36 Jahren beschloss die Tumorkonferenz, von der für über 70-jährige Patienten üblichen Standardtherapie leicht abzuweichen. Mit dieser angepassten Behandlung wurde angefangen.

Im Verlauf der Therapie kommen der Arzt und der Patient wiederholt zusammen, um über den erreichten Erfolg und die möglichen Nebenwirkungen zu sprechen und sie bei Bedarf zu erklären. Sollte alles therapiebedingt akzeptabel sein, wird die Therapie fortgesetzt, selbst wenn sie für den Patienten belastend ist. Arzt und Patient gehen diesen Weg gemeinsam.

Wenn ein ungünstiger Verlauf festgestellt werden muss, weil es zu schädliche und irreversible (unumkehrbare) Nebenwirkungen gibt und /oder der Therapieerfolg nicht mehr real erscheint, dann wird mit dem Patienten offen besprochen, wie der momentane Stand ist, und dass es wenig sinnvoll erscheint, die aktuelle Therapie fortzuführen. Ihm wird angeboten, alle seine Symptome und Daten zusammen mit seinen persönlichen Vorstellungen noch einmal in die Tumorkonferenz zu geben, um interdisziplinär einen neuen Therapievorschlag zu erarbeiten. Dadurch, dass möglicherweise Experten anderer Kliniken einbezogen werden müssen, kann das einige Zeit dauern.

Sobald der neue Vorschlag vorliegt, wird er mit dem Betroffenen besprochen. Dieses Einbeziehen in die Behandlung und das Wissen um die Mitwirkung vieler Spezialisten schätzen die Patienten sehr. Das vertrauensvolle und offene Miteinander führt zur Überzeugung, die Therapie trotz einer hohen gesundheitlichen Belastung durchzuhalten. Es gibt dem Patienten Sicherheit und die etwas bessere Möglichkeit für das Erreichen des Therapieziels.

Bei Marc Pöppel hatte die bisherige Behandlung auch nach der Umstellung auf eine andere Chemotherapie nicht den gewünschten Erfolg erbracht. Hinzu kam, dass er unter extremen Nebenwirkungen zu leiden hatte. Es ging ihm sehr schlecht. So wog er nur noch 30 kg gegenüber seinen jetzt wieder gesunden 100 kg.

Er besprach das mit seinem Arzt und dann wurde sein Therapieverlauf noch einmal in der Tumorkonferenz besprochen. Wegen der molekularen Zusammensetzung seines Tumors schlugen die Ärzte nun eine Immuntherapie vor. Dieses Verfahren wurde dem Patienten umfassend erklärt. Die möglichen Erfolge wurden ihm genannt, aber auch mögliche Misserfolge sowie die langjährigen Nebenwirkungen, die auftreten können. Nur sehr wenige Menschen mit dieser Tumorart, etwa einer von einhundert, reagieren überhaupt auf eine Immuntherapie. Es soll ein Versuch sein, dem Tumor sein Schutzschild wegzunehmen. Mit diesem Wissen entschied sich der Patient für diese Methode.

Zu Beginn der Behandlung waren der Arzt und sein Patient recht zufrieden, aber dann, sagt Dr. Benedikt Westphalen, kam ein Schreckmoment.
Marc Pöppel erzählt, dass ihm zu Beginn der Therapie gesagt worden war, dass der Tumor möglicherweise wachsen könnte. Er hatte Tumormarker, die für die Fortsetzung der Therapie ausschlaggebend waren. Inzwischen hat er mitbekommen, dass nicht alle diese Tumormarker haben, aber er hatte sie. Nun war es bei ihm so, dass die Tumormarker weniger wurden und dadurch angezeigt haben, dass die Immuntherapie wirkt.
Dann sind aber die Tumormarker auf einmal wieder gestiegen und das war dann der Punkt, wo die Frage aufkam, ob man weitermacht oder nicht. Gemeinsam mit dem Arzt entschieden sie weiterzumachen.
Ausschlaggebend dafür war auch, dass er keine der Nebenwirkungen hatte, die bei Immuntherapien vorkommen können. Er behielt seine körpereigene Immunabwehr, er hatte keine Einschränkungen, wurde nicht öfter krank und die Immuntherapie richtete sich auch nicht gegen seinen eigenen Körper.
Die Immuntherapie wirkte bei ihm glücklicherweise. Marc Pöppel ist immer noch sehr beeindruckt von diesen Zahlen, also dass es nur bei einem Prozent möglich ist und davon dann wieder nur bei zwanzig Prozent überhaupt anschlägt. Und bei ihm hat es erfolgreich gewirkt. Er wendet sich an die anderen Patienten mit dem Aufruf, immer weiterzumachen und nie aufzugeben!


Prof. Dr. Maximilian Reichert erklärt die Möglichkeiten der Immuntherapie.
Die Immuntherapie wird zur Zeit viel in den Medien diskutiert. Viele Erkrankungen können mit der Immuntherapie geheilt oder günstig beeinflusst werden.
Die eine Möglichkeit der Immuntherapie ist die so genannte Checkpoint-Inhibition. Man man löst sozusagen die Bremse auf dem Immunsystem. Und auf diese Weise lässt man die Immunzellen, die die Tumorzellen abräumen können, auf den Tumor los. Das ist wirklich zu einem wichtigen Eckpfeiler der modernen Onkologie geworden.
Es gibt auch die zelluläre Immuntherapie. Man sagt den Immunzellen, welches das Charakteristikum der Tumorzelle ist. Und dann lässt man sie gezielt darauf los.
Einige Tumorarten des Darmkarzinoms weisen eine „Mikrosatteliten-Instabilität“ (MSI) auf. (Das ist eine Mutation in der DNA der Tumorzellen. Sie entsteht, weil einige Gene, die für die Reparatur der DNA bei der Teilung der Zellen zuständig sind, nicht funktionieren. In der neu replizierten DNA häufen sich nach und nach Mutationen an, jedoch nur in den Tumorzellen und nicht in den anderen Zellen des Organismus desselben Menschen.) Mikrosatteliten-instabile Tumore haben eine sehr immunogene Wirkung. Das heißt, sie produzieren viele Antigene. Dadurch weisen sie das Immunsystem darauf hin , wo die Tumorzellen sind. Wenn man das dann mit dieser Immuntherapie verknüpft, dann kann man den maximalen Effekt erreichen.
Mikrosatteliten-Instabilität ist bei Pankreastumoren sehr selten, wahrscheinlich etwa ein Prozent. Und dann hat man bei dieser seltenen Untergruppe die Möglichkeit, diese Mutation mit der Immuntherapie zu kombinieren und kann wirklich erstaunliche Ergebnisse erzielen.


Abschließend sagt Marc Pöppel, dass er sich trotz der sehr geringen Wahrscheinlichkeit für die Wirksamkeit der Immuntherapie trotzdem deswegen gemeinsam mit seinem Arzt für dieses Verfahren  entschieden hat, weil vielleicht nicht er dieser Eine sein wird, bei dem die Immuntherapie anschlägt und eine positive Wirkung erzielt. Aber dann hat er immerhin mit seinem Versuch einen Beitrag dazu geleistet, dass die Ärzte mehr über die Immuntherapie erfahren. Und dann kann mit ihr einem anderen Patienten geholfen werden.



KaSy
PS: Alles kursiv geschriebene stammt von mir.

Wenn man schon im Müllkasten landet, sollte man schauen, ob er bunt angemalt ist.

Der Hirntumor hat einen geänderten und deswegen nicht weniger wertvollen Menschen aus uns gemacht!

 



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